Als ich den einzigen Radfahrer, den ich heute sehe, vorbei lassen will, trete
ich einen Schritt neben den Pfad, lasse plötzlich einen Schrei los und ein
starker Schmerz in der linken Wade sorgt dafür, dass ich mich unwillkürlich zu
Boden fallen lasse. Der Biker kann nichts dafür, der war eben noch gestanden und
hatte gewartet, aber ich wollte ihn einfach vorbei lassen. Er merkt gar nicht,
dass ich hinter ihm auf dem Boden liege, doch zwei andere Läufer bleiben gleich
besorgt stehen und fragen, ob ich verletzt sei, ob sie mit dem Handy Hilfe
herbei holen oder bei mir bleiben sollen. Zuerst habe ich keine Ahnung, ob ich
wieder aufstehen kann oder wie ich nun die nächsten Kilometer bewältigen soll.
Ich weiß noch nicht einmal genau, ob es eine Zerrung, ein Muskelriss oder ein
ungewöhnlich heftiger Krampf ist. Es fühlt sich eher wie ein Krampf an, aber
Krämpfe hatte ich abgesehen von meinem ersten Marathon noch nie beim Laufen,
außerdem fühlte ich mich noch vor Sekunden hundertprozentig schmerzfrei.
Nach zwei, drei Minuten kann ich wieder aufstehen, gehe vorsichtig ein paar
Schritte, dann kann ich wieder langsam laufen. Es tut zwar weh, aber es scheint
so, als könne ich vielleicht heute doch das noch 17 Kilometer entfernte Ziel
erreichen.
Ein großer Nachteil der unfreiwilligen Pause ist es aber, dass ich am Boden auf
extrem nassem Schlamm lag, daher meine Hose und der untere Teil meines Rückens
nun so klatschnass ist, als wäre ich in einer Pfütze gelegen. Bei 5 C über Null
nicht angenehm!
Zum Glück sind auch die nächsten Kilometer der Strecke außerordentlich schön.
Der Reiz der Natur verdrängt den Schmerz in der Wade, außerdem lässt dieser
ohnehin von Kilometer zu Kilometer mehr nach. Inzwischen kann ich sogar schon
wieder zwei Leute überholen, doch als ich an einem Wegabschnitt neben einem
plätschernden Bach und vielen stark bemoosten Bäumen immer wieder filme, eilen
diese wieder an mir vorbei. |
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Ein kurzes Motivationsloch packt mich, als wir auf einem asphaltierten Weg mal
wieder auf einem baumlosen Bergrücken entlang laufen. Erstmals heute weht ein
böiger Wind, was mit klatschnassem Gesäß und Rücken nicht angenehm ist. Zum
Glück liegt dieser Abschnitt bald hinter mir, und beim Abstieg in ein schönes
Tal macht mir das Laufen doch wieder Spaß.
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Nach wie vor liegt mein Abstand zur Schlusszeit an jeder VP etwa bei 5 bis 10
Minuten. Langsamer darf ich also auf den letzten Kilometern nicht werden!
In der Ferne höre ich mehrere Schüsse. Kurz darauf sehe ich wenige hundert Meter
vor uns am Waldrand in kurzen Abständen verteilt Männer mit Warnwesten stehen -
die Posten einer Treibjagd! Zum Glück kehrt unsere Route hier in einer Kurve
gleich wieder von der Jagd weg.
Von der letzten Verpflegungsstelle aus sehen wir in der Nähe schon auf einem
gegenüber liegenden Bergrücken Heiderscheid, doch ich weiß, dass wir nicht
direkt nach drüben laufen sondern unterwegs noch etliche Höhenmeter bewältigen
müssen. Zuerst geht es recht steil bergab, was meine Lebensgeister mal wieder
weckt. Solange mir solche Abstiege noch Spaß machen kann es mit der Verletzung
nicht allzu schlimm sein. Dann folgen einige Kilometer mit wenig Gefälle bzw.
Steigung durch zwei Täler. Wenige Kilometer vor dem Ziel wartet dann noch eine
Prüfung auf die Läufer, deren Kraftreserven hier schon zu Ende gehen. Ein
wirklich steiler Abstieg lässt zwei Leute hinter mir fluchen. Auch bei diesem
Abschnitt kann ich meine Erfahrung aus den Alpen nutzen und komme deutlich
schneller nach oben. |
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Doch bald folgen wieder gut laufbare Wege, wobei „gut laufbar“ für mich auch
schön verschlammte Passagen einschließt.
Im Gegensatz zu vielen anderen Ultratrails, bei denen ich zumindest zweitweise
ein paar Kilometer gelaufen bin, ohne andere Teilnehmer zu sehen, sehe ich heute
die ganze Strecke über fast immer andere Läufer vor oder hinter mir. Bei einem
Anteil von etwa 20 % deutscher Läufer und angesichts der Erkenntnis, dass auch
viele Luxemburger gut Deutsch sprechen, war es auch kommunikativ durchaus nicht
wie manch eines der eher schweigend verbrachten Auslands-Rennen.
Die vom Wetterbericht angekündigten Sonne kamen heute leider nicht. Null Prozent
blauer Himmel wurden aber meiner Meinung nach durch schöne November-Stimmungen
ausgeglichen. Kein Tropfen Regen, wenig Wind – eigentlich ein gutes Laufwetter.
Durch eine Tunnelröhre geht es unter einer Straße hindurch, und dann wartet auch
schon der letzte Kilometer auf mich.
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Sieben Minuten vor offiziellem Zielschluss komme ich an. Platz 320 von etwa 400
Startern, zehn weitere bleiben ebenfalls noch im Limit von 7 Stunden,
zusätzliche 27 Läufer stehen auch mit zum Teil deutlich längerer Zeit noch auf
der Ergebnisliste.
Direkt an der Ziellinie gibt es einen Becher Tee, ein paar Meter danach wird
bereits die Pasta ausgegeben. Doch als ich meine Portion will erfahre ich, dass
ich dazu den Chip brauche, der gestern in der Startertüte war. Da ich diesen für
einen Bestandteil des umfangreichen Werbematerials in der Tasche gehalten hatte
landete er mit dem restlichen Zeug heute Morgen im Papierkorb. Ohne Chip kein
Essen! Meine anfängliche Enttäuschung löste sich aber schnell auf, als plötzlich
ein anderer Läufer auf mich zu kam „Du bist doch der ohne Chip“ und mir einen
gab. Vielen Dank!
Ich warte in der schön warmen Halle noch das Ende der Siegerehrung ab. Florian
Neuschwander wiederholte seinen Vorjahressieg und kam mit 3:27, also mehr als
drei Stunden vor mir ins Ziel. Schnellste Frau war mit 4:35 Birthe Hilmes.
Anschließend fahre ich mit einigen Navigationsproblemen in der Stadt Luxemburg
weiter bis nach Deutschland, wo ich in der Jugendherberge nahe der Saarschleife
übernachte. Am nächsten Morgen genieße ich die Novemberstimmung beim
wunderschönen Aussichtspunkt Cloef, zu dem ich schon seit Jahren wollte, und
besichtige später am Morgen noch zwei Stunden lang das Weltkulturerbe Völklinger
Hütte, auch das schon seit Jahren ein Wunschziel von mir. Zusammen mit den
Burgen Bourscheid, Vianden und dem fotogenen Dörfchen Esch-sur-Sure am Samstag
war dies ein wirklich schöner Dreitagesurlaub. |
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Hier ist mein 3,5 Minuten langer
Film zu diesem schönen Lauf, wie gewohnt mit eigener Musik ...
Links
Und hier ist die Homepage der Veranstaltung:
http://www.trail-uewersauer.lu
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