Ein angenehmer Talweg, ganz leicht ansteigend, meist am Ufer
der Sinn entlang, führt uns in Richtung der eigentlichen Ortschaft Bad
Brückenau. Sie liegt einige Kilometer hinter den Kuranlagen. Hier wird auch alle
Jahre ein Halbmarathon veranstaltet, wie mir Alex erzählt. Er ist hier schon
mehrmals mitgelaufen. Daher kennt der den momentanen Weg schon. Hier Kilometer 5
und dort Kilometer 7. Er weiß also Bescheid.
Mittlerweile sticht die Sonne schon wieder unangenehm vom
Himmel. Das fühlt sich wieder mal nach Gewitterwetter an. Hoffentlich bleiben
wir auch heute vor starken Gewittern verschont. Bislang hatte wir ja
diesbezüglich großes Glück. Meine Schönwetterhexsprüche waren also bislang
erfolgreich, Bislang machte mir keine böse Wetterhexe einen Strich durch die
Rechnung, Nicht, dass allzu viel Angst vor Blitz und Donner hätte, die Aussicht
auf Wolkenbruch und Hagel machen mir da schon mehr Angst.
Es geht lange Zeit an der Sinn entlang
Als wir Bad Brückenau verlassen, verwandelt sich die Sinn
mehr und mehr zu einem reißenden Wildbach. In der Ferne sehen wir auch schon die
ersten Erhebungen der Hochrhön. Wir nähern uns also langsam aber sicher unserem
Ziel.
Sinntalbrücke
Schließlich durchqueren wir dreimal die neue Sinntalbrücke,
weil unser Weg unter ihr in einem verrückten Zickzackkurs verläuft. Die
Sinntalbrücke überbrückt für die A7 das Tal der Sinn. Die alte Brücke wurde
vor einiger Zeit gesprengt.
Dieses Ereignis lockte viele Schaulustige an, wie mir Alex erzählt.
Die Sinntalbrücke
Der große Anstieg und Teufels Tintenfass
In Riedenberg entdecken wir wieder ein Baushäuschen mit einer
langen Bank darin. Wir ziehen unsere Schuhe aus und legen ein kurzes Nickerchen
ein. Nach etwa 5 Minuten wecke ich Alex wieder mit wenig lieben Worten: "Aufstehen Du
Schlafhaube! Ich will möglichst bald mein Kreuzbergbier trinken!"
Letztes Nickerchen vor dem großen Anstieg
Nicht minder lieb ist die Tortur, die uns nun erwartet. Nun kommen die
eigentlichen Berge! Der steile und lange Anstieg vor uns motiviert uns nicht
allzu sehr, aber die Aussicht auf ein leckeres Bier schon mehr. Ich male mir
schon in schönsten Farben aus, wie es in meine trockene Kehle reinzischen wird.
Dieser Gedanke treibt mich voran.
Diese Motivation haben wir bitter nötig, da es nun zu den
Bergen der Rhön giftig steil hoch geht und dabei die Sonne herunter brennt.
Dabei tut uns fast alles weh, so dass ich eher beschreiben könnte, was uns noch
nicht weh tut. Wir beißen aber unsere Zähne zusammen und nähern uns mit jedem
Schritt, sei er noch so klein und langsam, unweigerlich dem Ziel.
Mittlerweile sind wir schon deutlich über 24 Stunden
unterwegs und haben endlich auch die magische Hundertkilometermarke
überschritten wie die GPS-Uhr von Alex beweist.
100 km in gut 24 Stunden. ;-) Bestzeiten sehen anders aus!
Mittlerweile schmerzt jeder Schritt!
In bereits etwa 700 m über den Meeresspiegel belohnt uns ein
Ausblick auf des Teufels Tintenfass. Dabei handelt es sich um einen aufgelassen
Basaltsteinbruch, der sich mit Wasser füllte. So bildete sich ein tiefgrüner See
inmitten beeindruckender Basaltsäulen. Auf diese Weise erschuf der Mensch mit
Hilfe der Natur ein sehenswertes Biotop, das sicher nicht nur schaulustige
Touristen sondern auch selten gewordene Tiere anzieht.
Das tiefgrüne Tintenfass
Schöner Aussichtspunkt! Unten sieht man noch einmal die Sinntalbrücke
Wir steigen nun immer mehr in die Höhe. Alex hat ein Finisher
T-Shirt von einem Volkslauf in Lohr am Main an. Als uns ein paar Wanderer
entgegen kommen, fragen sie wegen dem Shirt scherzhaft, ob wir gar von Lohr am
Main kommen, "Nein, von Kahl am Main!" erwidern wir und genießen die erstaunten
Mienen.
"In wie viel Tagen?" folgt die erwartete Antwort. "Wir starteten gestern um 11
Uhr und sind die Nacht durchgelaufen!"
Dann werden wir natürlich wieder für total verrückt erklärt. Aber das freut uns
natürlich und lässt uns etwas unsere Leiden vergessen.
Würzburger Haus
Das Würzburger Haus ein Stück dahinter lockt zu einer kleinen
Rast, zumal die Luft schon wieder so drückend ist und unsere Trinkvorräte
schon wieder zur Neige gehen. Wir setzen uns hin und ich bestelle mir ein Bier.
Sünde hin oder Sünde her! Das habe ich mir schon jetzt verdient, bin ich der
festen Meinung.
Im Würzburger Haus ist heute auch "Kerm". Wir sind ja schon wieder in
Unterfranken und nicht mehr in Hessen, wo es ja Kerb hieß. Dazu ist nebenan auch
ein kleines Festzelt aufgestellt. Und wie der Zufall es so will, trifft deswegen
Alex hier ein paar Musikerkollegen, die hier nachher noch aufspielen wollen.
Gerne würde Alex sich noch deren erste Lieder anhören, aber ich dränge zur Eile,
zumal immer mehr finsteres Gewölk aufzieht und ich endlich den Kreuzberg
erreichen möchte, der immer noch etwa 12 -13 km von uns entfernt liegt. Bei
unserem momentanen Schneckentempo müssen wir deswegen sicher noch mit an die 3
Stunden rechnen, zumal die Strecke sehr hügelig ist.
Dorniger Kreuzweg
Der Weg zu einem Kreuzberg ist meist dornig und steil und von
Mühsal und Leiden geprägt. Bei uns nicht anders. Die Fußsohlen schmerzen, die
Beine tun weh, der Rücken meckert und der eiserne Wille schmilzt wie Eis in der
Wüstensonne dahin. Dazu zieht auch noch ein Regenguss auf. In einem Waldstück
erwischt es uns. Dicke Regentropfen prasseln vom Himmel und erfrischen uns
wenigstens. Dennoch suchen wir Schutz unter einer Baumkrone. Da der Schauer
nicht allzu lange anhält, bleiben wir weitgehend trocken. Bald können wir unsere
Tour des Leidens fortsetzen.
Ein weiterer See in einem ehemaligen Steinbruch
Noch einmal ziehen wir an einen dunkelgrünen See an einem
ehemaligen Basaltsteinbruch vorbei, bevor wir in der Gipfelregion des 832 m
hohen Feuerbergs wieder freies Gelände erreichen. Die dortige Kissinger Hütte
lassen wir rechts liegen, weil wir so etwa 300 Meter abkürzen können.
Mittlerweile bin ich über jeden Meter froh, den wir nicht zurücklegen müssen.
Auf der anderen Seite erkennen wir bereits den Kreuzberg.
Bereits den Kreuzberg vor Augen!
Dazwischen liegt aber
noch einmal ein Tal, soll heißen, es geht erst einmal bergab, bevor es dann noch
einmal zum Kreuzberg so richtig hoch geht.
Varus und Einstein
Es folgt ein Abstieg auf etwa 650 Meter über dem
Meeresspiegel, bevor uns noch einmal knapp 300 Höhenmeter bis zum Gipfel hoch
erwarten. Wer alpine Läufe unternimmt, wird jetzt darüber nur lächeln. Aber mit
all den zurückliegenden Strapazen in den Beinen, gepaart mit Schlafmangel,
vergeht uns beiden darüber leider das Lachen.
Der Weg in Richtung Gipfel zieht sich ewig durch einen für uns nun monotonen
Wald. Wald hatten wir ja schon bis zum Abwinken. Wir fühlen uns langsam wie
Varus und
seine Legionen im Teutoburger Wald.
Irgendwie habe ich das Gefühl, wir kommen einfach nicht vom Fleck. Hat jemand
meine Fußsohlen mit Uhu festgeklebt oder lauert gar ein germanischer Krieger
hinter dem nächsten Baum?
Endloser Weg zum Kreuzberg hoch!
Dabei steigt der Weg nur langsam an. Die Höhenangabe meines Höhenmesser
verändert sich kaum. In der Minute legen wir vielleicht 2- 3 Meter zu, während
es bis zum Gipfel immer noch über 200 Höhenmeter sind. Will denn der Gipfel
niemals kommen?
Wieder einmal wie schon so oft muss ich erfahren, wie dehnbar Zeit und Raum sein
können. Dazu brauche ich keine Relativitätstheorie von Albert Einstein.
Vielleicht hätte ich statt Einstein für diese Erkenntnis den Nobelpreis
verdient?
Heroen und müde Krieger
Endlich geht es steiler hoch. Eine Bank lockt für eine kleine
Rast. Ich blicke ins Gesicht von Alex. Es sieht alles anders als frisch aus.
Heroen wie sein Namensvetter der Große sehen anders aus.
Einen Spiegel habe ich nicht dabei. Das ist gut so. So muss ich wenigstens nicht
meinen eigenen Anblick ertragen und als Thomas der Ungläubige ungläubig mein
Gesicht darüber verziehen.
Wir sind mit unseren Kräften ziemlich am Ende!
Mühsam erheben wir uns und schleppen uns wie zwei müde Krieger weiter. So werden
aber keine Kriege gewonnen!
Wir jammern im Duett. Geteiltes Leid ist wenigstens halbes Leid. Nur halbes
Leid, reicht heute auch schon vollkommen aus. Die Hälfte von unendlich ist ja
immer noch unendlich!
Endlich am Ziel und das Kreuzbergbier
Himbeeren säumen den Weg vor dem Gipfelplateau. Alex stärkt
sich noch einmal. Ich verzichte diesmal. Ich habe nur noch Kreuzbergbier vor
Augen!
Endlich erreichen wir die Gipfelregion. Der Gipfel liegt hier nur noch wenige
Hundert Meter Luftlinie von uns entfernt. Aber kein Weg führt dort direkt hin.
Nur ein Wanderweg, der dorthin noch einen weiten Bogen zieht. Alex will den
direkten Weg laufen. Ich vertraue seinen Ortskenntnissen. Aber in einem Wald ist
alles eingezäunt oder mit Dornenhecken versperrt. Es geht nicht weiter. Ich
schaue Alex an, als hätte er mein Kreuzbergbier umgekippt. Wir müssen zurück und
doch den Bogen laufen!
Auf den letzten Metern zum Gipfel
Dieser zieht sich noch einmal ewig in die Länge. Aber endlich
erreichen wir doch das riesige Gipfelkreuz. Über 30 Stunden waren wir unterwegs
und was haben wir dabei alles erlebt! Uns kommen vor Freude fast die Tränen. All
unser Leiden, all unsere Last fällt von uns ab. Wie Phönix aus der Asche sind
wir neugeboren! Vor einer halben Stunden waren wir noch zwei Jammergestalten und
nun sind wir zwei Heroen!
Das Gipfelfoto vor dem riesigen Gipfelkreuz
Wir lassen uns von einem Mountainbike Radfahrer noch schnell in Heldenpose
ablichten. Dann gibt es kein Halten mehr, Wir stürmen die steilen Treppen zum
Kloster hinab, wo uns schon meine Frau Gaby erwartet.
Auf den letzten Metern zum Kloster
Nach fast 31 Stunden können wir endlich unser Kreuzberg
trinken. Ich glaub, ich muss Euch nicht mehr beschreiben, wie das uns mundet! |