Nach etwa 10 km Laufstrecke durch den Zauberwald bricht die Hügelkette ab. Ein
steiler Trail führt uns nun über 250 Höhenmeter hinab ins Tal bei Roßbach. Bald
endet hier auch der Wald. Bei einem schönen Aussichtspunkt mit Bank zum Ausruhen
legen wir eine Rast ein. Alex hat hartgekochte Eier dabei. Zusammen mit Salz
schmecken sie lecker, zumal wir so viel geschwitzt haben.
Ausblick auf Roßbach
Unsere
Trinkvorräte gehen schon sehr zur Neige. Unter uns liegt zwar Roßbach, aber im Vorfeld
meiner Studien zur Strecke konnte ich dort keine Gastwirtschaft entdecken. Aber
im Nachbarort Bieber soll es Gaststätten geben. Dort müssen wir
jedenfalls unbedingt unsere Trinkvorräte auffüllen, da dahinter ein riesiger
Wald folgt und erst bei der Orbquelle wieder mit Wasser und das dann schon inmitten der
Nacht zu rechnen ist.
Brennnesseln und Dornenbüsche
Wir rennen einen schmalen Weg Richtung Tal und Roßbach.
Plötzlich versperren Brennnesseln den Weg. Nach links und recht kann man auch
nicht ausweichen, da alles durch Weidezäune versperrt ist. Sollen wir umkehren?
Da, eine Wegmarkierung deutet eindeutig in Richtung geradeaus! Also Augen zu und
durch!
Wir haben beide Shorts an. Da bereiten Brennnesseln wenig Freude. Ich setze
meine beiden Walkingstecken als Machete ein. So richtig will das auch nicht
funktionieren. Die fasrigen Brennnesseln wickeln sich wie Schlingpflanzen um die
Stecken. Nur mühselig kann ich die Stecken von dieser Umklammerung befreien.
Nun
gesellen sich auch noch Brombeersträucher dazu. Das ganze entwickelt sich so
langsam zum Supergau. Lange halten wir das nicht mehr durch!
Der zu gewucherte Weg
30
Meter weiter entdecke ich ein Ende. Es dürften nur noch etwa weitere 20 - 30
Meter bis zum Fahrweg sein. Aber diese letzten Meter Hindernislauf haben es in sich! Mit den
Stecken ist diesem Dickicht kaum mehr beizukommen! Also können wir uns noch mit zusammengebissenen Zähnen durchkämpfen.
Wir weichen so weit es geht den Dornen aus. Die brennenden Nesseln nehmen wir als Gott
gegebenes Schicksal hin. Mit stachligen Kletten übersät und brennenden und
aufgerissenen Beinen erreichen wir den rettenden Fahrweg. Wie wird das erst in
der Nacht werden?
Die Kerb
Endlich in Roßbach angekommen, entdecken wir drei Passanten.
Wir fragen höflich, ob man hier wo was zum Trinken bekommt.
"Aber ja doch! Wir
sind gerade auf dem Weg zur Kerb! Ihr könnt Euch uns anschließen!"
Wir sind
mittlerweile in Hessen und so muss ich erst einmal überlegen, was eine Kerb ist.
Ach, das ist ja eine Kirchweih. In Mittel- und Oberfranken nennt man ja so was
"Kerwa" und in Unterfranken wie ich von meinem unterfränkischen Begleiter Alex
erfahre "Kerm". Weiter oben im Norden Hessens nennen sie die Kerb auch Kirb.
Wieviel andere Namensbezeichnungen es für solche Kirchweihen gibt kann man in
diesem WIKIPEDIA-Artikel
nachlesen.
Wir gelangen schließlich zu einem großen Gemeindehaus, mit ein paar Fahrbuden
und einem kleinen Festzelt. Zuerst füllen wir unser Wasser im Gemeindehaus auf
und dann kaufen wir uns was zu trinken und zu essen. Die Preise sind hier sehr
human, nur die Flaschen und Gläser recht klein. Kleine Kerb, kleine Gläser!
0,25 Liter Mineralwasser oder 0,2
Liter Cola kosten gerade mal 1,20 Euro und 0,33 Liter Bier 2 Euro. Ich ordere
ein Bier, ein Mineralwasser und ein Cola. Mein gewaltiger Durst will ja erst
einmal gelöscht werden.
Bei der Imbissbude nebenan ist die Auswahl überschaubar. Es gibt
Bratwurst oder Currywurst, das alles mit der gleichen Wurst. Vielleicht hätte
ich heute Mittag doch keine Bratwürste essen sollen?
Während Alex die Currywurst ordert, bestelle ich mir dann doch ein Bratwurst im
Brötchen. Die Bratwurst ist ziemlich dick und ähnelt mehr einer Bockwurst. Statt mit Senf übertünche ich sie mit Currysauce und esse dann sozusagen eine
in Curry gebadete Bratwurst. Irgendwie schmeckt
mir das ganze sogar.
Dabei unterhalten wir uns mit einigen Dorfbewohnern und erzählen vor unserem
Laufvorhaben und sind plötzlich die Attraktion des Dorfes. Allerdings müssen wir
dabei jederzeit damit rechnen, entweder als Hochstapler abgetan zu werden oder
sogar die Männer mit den weißen Kitteln hinterher gejagt zu bekommen.
Wir brechen daher vorsichtshalber bald wieder auf.
Im Biebertal
Dummerweise habe ich nicht so recht aufgepasst auf welchen
Weg uns die Passanten zur Kerb leiteten. Plötzlich habe ich beim
Orientierunglauf
Orientierungsschwierigkeiten, weil mein Garmin Dakota nur einen kleinen
Kartenausschnitt zeigt. Nein, der Weg in Richtung Lanzingen ist falsch! Wir wollen ja nach Bieber.
Oh je, hier heißt alles Biebergemünd.
Sowohl Roßbach als auch Bieber sind Ortschaften innerhalb dieser Supergemeinde.
Das verwirrt!
Im lieblichen Biebertal
Ursprünglich wollte ich von Roßbach gleich wieder in die Wälder des
Spessarts abtauchen. Aber später stellte ich fest, dass der Weg durch das
Biebertal von Roßbach nach Bieber einfacher und auch etwas kürzer ist. Daher
laufen wir erst einmal durch das liebliche Biebertal. Dabei überholen wir eine
Spaziergängerin, Sie ist sowohl mit Hund als auch Pony unterwegs. Wir kommen mit
ihr ins Gespräch. Ich erzähle ihr, wie gerne ich früher mit Gabys Pferd Pebbles joggen ging. Leider lebt ja Pebbles seit einigen Wochen nicht mehr, was
mir natürlich auch jetzt noch sehr weh tut.
Der erste richtig große Wald
Hinter Bieber geht es in der immer noch stechenden Abendsonne
sehr steil bergauf, während wir am Horizont da und dort auch dunkle Wolken
sehen. Dazu ist es immer noch schwül. Wir haben nun etwa 40 km
Laufstrecke hinter uns gebracht und fühlen uns erstmals erledigt. Der steile
Hang und die drückende Luft tragen dazu ihren Teil bei.
Die Sonne verschwindet nun schon hinter dem gegenüber liegenden Bergrücken. Bald
wird die lange und gefürchtete Nacht hereinbrechen. Was wird sie bringen?
Die Sonne geht unter
An einer Bank mit schöner
Aussicht legen wir daher noch einmal eine Rast ein und genießen den schönen
Ausblick. Ich leere den Dreck aus meinen Schuhen und reibe die Füße noch einmal
mit Hirschtalgcreme ein. Ich möchte unbedingt Blasen und Druckstellen vermeiden,
weil solche Dinge einem stundenlang eine wahre Hölle bereiten können, wie ich
leider schon aus leidlicher Erfahrung weiß.
Erstmals macht Alex keinen so lustigen Eindruck wie
sonst mehr. Was bekümmert ihn? Er sagt es mir nicht.
Schließlich brechen wir wieder auf und erreichen bald den
Waldrand. Im Wald ist es schon ziemlich duster. Wir packen vorsorglich unsere
Stirnlampen aus, aber schalten sie noch nicht an, weil wir im Restlicht noch
genügend sehen.
Wald im Abendlicht
Nun laufen wir durch ein riesiges Waldgebiet, zuerst einmal für etwa 20 km, dann
wird mit Burgjoß eine kleinere Ortschaft folgen, bevor es noch einmal für
weitere 20 km durch den finsteren Spessart gehen wird. Was bin ich froh, diesmal nicht wie beim
Mittelfränkischen Bezirksorientierungslauf im Mai alleine durch den
finsteren Forst laufen zu müssen. Hier sind die Wälder noch viel ausgedehnter,
man kann also darin noch leichter verloren gehen. Außerdem ist es hier bei der
nass feuchten und nebeligen Luft noch gespenstischer als damals in
Mittelfranken. Wenigstens wird es aber heute Nacht sicher nicht so kalt werden.
Auf unserem Waldweg geht es nun beständig bergauf. Es ist
bereits stock dunkel, als wir dabei erstmals die 500 Metergrenze überschreiten. Fahrwege und Trampelpfade wechseln sich dabei ab. Bei den Trampelpfaden
müssen wir in der Dunkelheit höllisch aufpassen, wo wir hintreten.
Im Gespenster Wald
Ich erzähle Alex vom gruseligen Gebelle der Rehe beim
Mittelfränkischen Lauf, als ich alleine nachts durch den Wald lief und darüber
erschrak.
Aber oh je, reflektieren hier nicht ein paar Augen im Lichtkegel meiner
Stirnlampe? Was funkelt da so gruselig? Was blickt so gemein? Ist es ein Wildschwein oder gar ein Luchs?
Wildkatzen soll es hier ja geben, aber ein zugewanderter Bär oder Wolf
würde in diesem Riesenwald wohl auch nicht so schnell auffallen!
Nein, es sind nur Rehe. Gazellenartig springen sie ohne große Panik an uns vorbei. Sie
sehen in uns keine Gefahr. Dazu sind wir einfach zu langsam für sie. Was würde
ich dafür geben, könnte ich auch so leichfüßig und gewandt durch diesen Wald
springen.
In der Tat, von uns droht ihnen nichts, aber wohl eher von den Jägersteigen, die
man hier immer wieder mal sieht oder besser gesagt von den grün berockten
Herren, die hier ab und zu mal oben sitzen.
Ist eigentlich momentan Jagdsaison? Ich hoffe nicht, wir möchten ungern mit
einem Rehbock oder gar kapitalen Hirsch verwechselt werden!
Die Luft wird immer feuchter und nebeliger. Der Hauch des
Atems und die feinen Tröpfchen des kondensierenden Nebels spiegeln sich im
Scheinwerferlicht und verschlechtern die Sicht. Es ist außerdem anstrengend,
immer in diesen Lichtkegel reinzugucken. Wie soll ich das die ganze Nacht
aushalten? Alex macht sein Licht deswegen nicht an und läuft stattdessen auf
breiten Fahrwegen neben mir und engen Pfaden hinter mir.
Orbquelle
Nach 22:00 Uhr nähern wir uns der Orbquelle. Wir müssen sie
unbedingt finden, weil wir auf ihr Wasser angewiesen sind, denn wo sonst sollen
wir in diesen riesigen Wäldern inmitten der Nacht unsere Wasservorräte
auffüllen?
Hier müsste doch rechts der Pfad vom Fahrweg Richtung Quelle wegführen. Wir
entdecken aber in der Dunkelheit den Weg nicht. Stattdessen irren wir hin und her. Wenn
wir den Weg nicht finden, müssen wir querfeldein hinunter. Das wird nicht
leicht, weil es hier sehr steil bergab geht!
Wir klettern auf allen Vieren ein Stück hinab und
treffen schließlich auf so was wie einen Pfad. Dieser führt uns zum eigentlichen Wanderweg
hin. Dieser gestaltet sich als Weg mit Hindernissen. Wurzeln und Stolperfallen
ausweichend, tasten wir uns vorsichtig bergab.
Unten
angekommen, erreichen wir eine Straße. Aber wo ist die Quelle? Straße und
Finsternis, aber sonst nichts!
Wir laufen die
Straße ein kleines Stück entlang, bis ein Weg links weggeht.
Dort hören wir was plätschern. Das klingt verlockend! Juhu, das muss die Quelle sein!
In der Tat, das ist die Quelle! Aus einer in eine Mauer eingefasste Leitung fließt
das frische
Quellnass der Orbquelle. Links daneben entdecken wir ein großes Warnschild mit der
Aufschrift "Kein Trinkwasser" und in der Nähe ein Schild
"Wasserschutzgebiet". Hier widerspricht sich was! Wieso muss man Wasser schützen,
das kein Trinkwasser ist?
Jedenfalls sind wir auf dieses Wasser angewiesen! Ich koste es vorsichtshalber. Es schmeckt
perfekt und ist sicher bekömmlicher als die verchlorte Brühe, die sich in meinem
Heimatort
Forchheim Trinkwasser nennt.
Die Orbquelle
Wir löschen nun unseren Durst und trinken uns die
Bäuche voll, so als wäre das hier das beste Bier oder der leckerste Wein. Man
muss nur Durst haben, um Wasser schätzen zu lernen. Dazu füllen wir sämtliche
Trinkflaschen auf und ich verdünne noch einmal mein ohnehin schon dünnes Red Bull Mixgetränk. Das kühle Nass und die kleine Pause haben gut getan, zumal wir uns
auch noch einen kleinen Bissen Essen genehmigt haben.
Land unter
Kurz hinter der Quelle gabelt sich der Weg in einem spitzen
Winkel. Das ist die ideale Stelle, um sich selbst mit GPS-Track zu verlaufen!
Wir wählen den linken Weg und kommen so in der Tat vom rechten Weg ab. So ein
Mist! Wir sind doch nicht auf Umwege erpicht! Also wieder zurück! Auf einem langsam
ansteigenden Fahrweg geht es weiter,
Hier könnten wir vielleicht abkürzen, weil der Fahrweg sich
in einer großen Spitzkehre den Berg hoch schlängelt. Aber die potentiellen
Pfade, die in diese Richtung führen, schauen wenig verlockend aus. Also wählen
wir lieber den längeren, aber dafür einfacheren Weg, zumal wir in dieser Waschküche
kaum noch was erkennen. Untergrund und Luft werden immer feuchter. Hier muss es
stark geregnet haben. Es wurden ja für den Abend und die Nacht reichlich
Gewitter vorhergesagt. Aber bislang blieben wir davon verschont. Aber hier kam
sicher vor nicht allzu langer Zeit ein starker Gewitterregen herunter. Der
musste sein Schleusen geöffnet haben, Gut, dass wir nicht zu schnell unterwegs waren. Sonst hätten wir den
abbekommen!
Mittlerweile laufen wir auf einen gemütlichen Fahrweg leicht
bergab und kommen gut voran. Dieser große Wald muss nun bald enden und Burgjoß
sollte bald in Sicht kommen. Dort können wir vielleicht an einer Bushaltestelle
eine kleine Pause einlegen. Die Aussicht darauf muntert uns auf. Mittlerweile
laufen wir ja schon in der Geisterstunde!
Land unter
Dummerweis endet nun der gemütliche Fahrweg. Der nun
folgenden Naturweg wird immer holpriger und seine Pfützen immer größer.
Dabei wird es immer schlammiger und das nasse Gras und Vegetation auf dem Weg
sorgen für nasse Füße. Hoffentlich holen wir uns mit den patschnassen Füssen und
all den Dreck und Matsch, den wir hier uns hier dazu einfangen keine Blasen. Das Laufen mit
Blasen macht ja wenig Spaß, zumal wir von der Länger der Strecke her erst etwa die Hälfte geschafft haben. Zeitmäßig wird es noch nicht einmal die Hälfte
sein, da ja die größten Anstiege erst noch kommen!
Querfeldein im Nachtnebel
Der Weg wird immer miserabler. Holzstämme, Äste und allerlei
Hindernisse versperren den Weg. Wieder einmal kommen wir fast nicht mehr vom
Fleck. Alex stolpert hinter mir nur noch herum, weil er
seine Lampe immer noch nicht angemacht hat. Ich ermahne ihn: "Du musst nun
unbedingt auch Deine Lampe anmachen, Ich habe genug Ersatzbatterien dabei!"
So gesagt, so getan. Wenigstens stolpert er nun nur noch so herum wie ich auch, da
wir trotz Licht in diesem nebeligen Regenwald fast nichts mehr sehen. Der Nebel
reflektiert im Licht und wir erkennen dabei kaum mehr die Hand vor dem Gesicht.
Hindernislauf
Nun
endet der Weg komplett im Gestrüpp. Geradeaus geht es nicht mehr weiter. Da
kommen wir nicht weiter, obwohl auf der Karte der Weg hier weiter verlaufen
sollte. Aber rechts von uns sollte ein Stück weiter oben am Hang über uns parallel ein Fahrweg verlaufen, der sicher
besser ist. Aber wie sollen wir zu ihn hinaufkommen? Da müssten wir dazu rechts
hoch. Ich leuchte in den Wald hinein. So weit ich erkennen kann, sind im Wald weniger Gestrüpp und Dornen
als hier auf dem angeblichen Weg. Wollen wir versuchen, ob wir hier durchkommen?
Immer noch besser als umzukehren! Es dürften ja "nur" etwa 200 Meter bis zum Fahrweg sein!
No risk, no fun! Ästen ausweichend, zwischendurch mal unter Zweigen auf allen
Vieren kriechend,
kämpfen wir uns ganz langsam nach oben. Wo ist denn endlich der rettende Weg?
Wann nimmt das hier denn endlich mal ein Ende?
Querfeldeinlauf
Es dauert ewig bis ich endlich was erkenne, wo der heiß
ersehnte Fahrweg sein könnte. Kurz vor dem Weg müssen wir uns noch einmal durch
allerlei Gestrüpp kämpfen. Aber endlich stehen wir wieder auf einem Weg, wo
man wieder laufen kann. Wenigstens ist jetzt meine zuvor aufkommende Müdigkeit
wie weg geblasen.
Da es dazu leicht abwärts geht, kommen wir nun wieder ganz gut voran.
Endlich
endet der Wald. Wir laufen nun parallel zu einer Straße, die wir schließlich
erreichen. Während wir ein Stück auf ihr laufen, sehen wir schon in der Ferne
die Lichter von Burgjoß brennen. Ein erstes Zeichen von Zivilisation. Nach so
viel Wildnis tut das gut!
Die Freude endet jäh. Unser
Weg biegt nun links von der Straße ab. Dabei geht es auf einer kurzen giftigen
Steigung noch einmal in den Wald hinein. Wir sind darüber enttäuscht und beide erledigt.
Daher freuen wir uns als es wieder bergab und aus den Wald heraus geht. Dabei erreichen
wir die sog. Waldsiedlung von Burgjoß. Ein Bushäuschen können wir dabei nicht
entdecken, aber immerhin eine Bank, wo wir uns erst einmal hinsetzen und
ausruhen.
Erstes Leiden von Alex
Alex war die ganze Zeit schon so still. Das ist nicht seine
Art. Also muss er was haben! Er rückt nun endlich damit raus. Sein rechtes Bein schmerzt
relativ weit unten schon die ganze Zeit. Ich frage ihn: "Hoffentlich kein
Ermüdungsbruch o.ä.?" Er verneint das vehement, aber meint, es könnte eine
Muskelverhärtung sein. Jedenfalls tut es sehr weh und er bezweifelt dabei sehr,
noch bis ins Ziel durchhalten zu können. Nur hier kann er nicht aussteigen!
Höchstens gut 20 km weiter in Jossa, wo es einen Bahnhof gibt.
"Sollen wir es tapen?" frage ich. Er verneint das. Aber ich habe eine
Pferdesalbe dabei. Die wollen wir draufschmieren. Vielleicht hilft sie! Die Salbe
kühlt und lindert den Schmerz. So können wir erst einmal vorsichtig
weiter laufen.
Ein weiterer endloser Wald und die "gelaserten" Läufer
Bald lassen wir die Häuser wieder hinter uns. Wir laufen nun
im offenen Gelände auf einem Wiesenweg einen Bach entlang. Dabei werden die Füße
im nassen Gras noch nässer, soll heißen sie sind nun patschnass. Das ist sehr
unangenehm und ich habe wieder mal berechtigte Angst vor Blasen. Nasse Haut
bildet leichter Blasen.
Hinter einem Bauernhof, an dem
wir uns irgendwie vorbeischlängeln, erreichen wir wieder eine Straße. Diese
laufen wir ein kurzes Stück entlang, bevor ein Weg nach rechts zurück in
Richtung Bergwälder führt. Der Weg endet nun am dicht zu gewucherten Waldrand, wo
wir irgendwie hinein müssen. Unser weiterer Weg verläuft nur wenige Meter
weiter im Wald. Aber wir finden einfach keinen Zugang, Daher laufen wir am
Waldrand entlang und hoffen weiter auf eine Zugangsmöglichkeit zu unserem eigentlichen
Weg. Der Wald ist aber weiterhin zugewuchert, also der Zugang versperrt.
Verzweifelt versuche ich mit der Stirn durch die Wand Strategie nach einer
Lösung. Ich wähle die nächst beste Stelle und versuche mich als Rammbock, während ich Alex erst mal warten lasse. Nach wenigen Metern
bleibt der Bulldozer im dichten Brombeersträuchern hängen. Nein, so geht es auch nicht weiter!
Also lege ich den Rückwärtsgang ein. Mühsam taste ich mich zurück.
Wir laufen weitere 500 Meter den Waldrand entlang, bis wir doch noch
einen Zugang zum geplanten Waldweg finden, der sich nur etwa 10 Meter vom
Waldrand entfernt befand aber von einer Vegetationsmauer versperrt war.
Nun geht es erst einmal für die nächsten paar
Kilometer bergauf. Wenigstens schmerzt das Bein von Alex bergauf nicht so sehr
wie bergab.
Der Fahrweg würde nun eine riesigen Haken machen. Wenn wir hier eine direkte
Abkürzung entdecken, könnten wir an die 3 km Wegstrecke einsparen. Das wäre auch
wegen dem bösen Bein von Alex natürlich super. Schließlich entdecken wir eine
Rückegasse, die direkt den Berg hinaufführt. Das wäre die ideale Abkürzung, wenn
die nicht irgendwo endet.
Auf einem holprigen Weg mit allerlei Pfützen und Gestrüpp tasten wir uns
mühselig den Berg hoch. Wenigstens versperrt hier kein Dornengestrüpp den Weg.
Mittlerweile ist es schon nach 2 Uhr morgens, als wir so eine kleine Lichtung
erreichen. Dabei entdecke ich einen überdachten Jägersteig und denke mir erst
nicht viel dabei. Als ich aber den Jägersteig anleuchte, reflektiert zu meinem
Schrecken grünlich ein
Fernstecher, wohl mit Infrarotsichtgerät. Oha, da muss jemand oben sitzen!
Plötzlich fängt ein Hund das Bellen an. Der Jäger oben beschimpft seinen Hund.
Er ist wohl gerade aus einem kleinen Nickerchen erwacht. Genauso erschreckt wie
wir, stellt er nun fest, dass hier jemand sein muss. Jetzt hat er uns wohl
entdeckt, weil wir vom Laserstrahl seiner Knarre fixiert werden. Ich fühle mich
wie in einem billigen Kriminalfilm. Wir die Geiselnehmer, werden von den
Scharfschützen der GSG 9 mit den
Laserstrahlen ihrer Gewehre anfixiert,
Das finden wir
wiederum nicht so toll, leuchten mit unseren Stirnlampen zurück, damit es ihm klar
wird, dass wir kein
Wild sind und suchen dann schnell das Weite. Da hier im Umkreis von vielen
Kilometern nur Wald ist, hat er sicher zu dieser Zeit mit keinem menschlichen
Wesen gerechnet und ist wenn schon nicht erschreckt dann zumindest "not amused", weil sich hier wohl die nächsten
Stunden kein Wild mehr blicken lässt. Sorry, lieber Waidmann! Das war nicht
gewollt! Aber alle Veganer und auch das Wild in der Umgebung darf sich freuen.
Ihr süßen Rehlein dürft nun noch etwas länger leben!
Es geht nun meist auf Fahrwegen weiter. Zwischendurch sind
diese mit ekelhaft spitzen Steinen geschottert, worüber sich unsere
malträtierten Füße wenig freuen. Außerdem reflektieren immer wieder Augenpaare in meinem
Lichtkegel. Das muss eine wildreiche Gegend sein! Hie und da flattert auch mal was über unsere Köpfe.
Wahrscheinlich Eulen, Fledermäuse oder ähnliche in der Nacht fliegende Geschöpfe. Na ja,
solange es keine Vampire sind! Was bin ich froh, dass ich hier nicht alleine
durch die Nacht laufen muss. Gemeinsam ist das schon viel weniger gruselig.
Immer noch ist die Luft total feucht und der Lichtstrahl reflektiert im Nebel.
Das strengt weiterhin ungemein an. Dazu drückt meine Stirnlampe auf der Stirn. Ich habe deswegen schon
ein Kopftuch darunter angezogen, damit es nicht ganz so presst. Wie sehr
erflehen wir den Morgen! Aber bei dem trüben Wetter, wird es noch etwas dauern
bis das erste Morgengrauen anbricht und das Grauen der Nacht vertreibt.
Morgengrauen
Gegen 4 Uhr morgens erreichen wir den Waldrand und kurz
dahinter Jossa. Es ist immer noch total finster. Von Morgenlicht noch keine
Spur. Zudem sind wir ziemlich erledigt und Alex schmerzt sein Bein wieder
fürchterlich. Bei einer Bank legen wir eine Rast ein. Alex hat immer noch ein
paar hart gekochte
Eier dabei und spendiert mir wieder welche. Mit Salz schmecken die lecker und beleben
uns.
"Alex kannst Du noch oder willst Du aussteigen? Hier in Jossa gibt es einen
Bahnhof!" Alex winkt ab. Er hat keine Lust stundenlang am kalten Bahnhof auf den
ersten passenden Zug zu warten. Ich gebe ihn wieder was von der Salbe und dazu
eine Voltaren Schmerztablette, die ich für solche Notfälle dabei habe, auch wenn
ich kein Freund von Schmerztabletten bin. Aber hier liegt ein Notfall vor,
wo man den Teufel mit dem Belzebub austreiben muss.
Die nächsten vielen Kilometer wollen wir durch das Sinntal
laufen. Einmal bleiben uns da zum großen Teil Waldgebiete erspart und außerdem
auch größere Anstiege.
Alex vor mir im Morgengrauen
Endlich graut so langsam der Morgen. Mich belebt das. Ich
erlebe einen zweiten Frühling. Aber der neben mir herhumpelnde
Alex tut mir nicht nur leid, sondern macht mir auch große Sorgen. Wird er wenigstens bis
Bad Brückenau durch halten?
Dort könnte er dann in ein Hotel oder Cafe gehen und warten bis ihn meine
Frau Gaby abholen kann.
Immer wieder schmiede ich neue Pläne, fasse neue Gedanken und verwerfe wieder
dieses und jenes.
Wie auch immer, wir müssen jetzt die einfachsten und
kürzesten Wege wählen und zur Not auch mal Straßen entlang laufen, auch wenn ich Traillauffan bin. Die Situation erfordert das nun.
Das ist sicher der Vorteil so eines Laufs. Man kann die Strecke den
Gegebenheiten anpassen. Bei einer normalen Laufveranstaltung muss man dagegen
auf den vorgegebenen Wegen bleiben. Dafür dürfen wir aber auch keine Hilfe von
außen erwarten!
Sonnenaufgang und Straße
Die nächsten 9 km laufen wir eine Straße entlang. Besser
gesagt wir gehen, weil es ja Alex mit seinem Bein miserabel geht. Teilweise geht
er sogar rückwärts, weil das sein Bein etwas entlastet. Ich scherze deswegen, um
die bedrückende Stimmung aufzulockern. Wenn Humor in so einer Notlage nicht mehr
weiterhilft, kann übrigens auch etwas Sarkasmus hilfreich sein.
Damit wenigstens ich nicht auf schlechte Gedanken komme, genieße ich den
wunderschönen Sonnenaufgang und die Sonnenstrahlen, die nun durch den Dunst und
Nebel brechen. Ein herrliches Naturschauspiel! Zum Fotografieren habe ich ja
jetzt genügend Zeit, da wir dahin schleichen. So gelingen mir immerhin einige
stimmungsvolle Morgenfotos.
Fantastischer Sonnenaufgang
Wenigstens fahren hier so früh am Sonntagmorgen kaum Autos.
So haben wir die meiste Zeit die ganze Straße für uns alleine und dürfen uns als
so eine Art King on the Road fühlen. Diese königliche Stimmung verfliegt aber
schnell, denn der harte Asphalt drückt auf meinen Fußsohlen. Zudem schmerzt es
auch hier oder dort. Ich weiß nicht, habe ich mir schon wieder ein Steinchen
eingefangen oder bildet sich dort schon eine Blase?
Aber ich jammere auf hohen Niveau. Im Vergleich zu Alex geht es mir noch
gut.
Das Wunder vor Bad Brückenau
In Eckarts biegen wir endlich von der Straße ab. Rechts von
uns weiden ein paar Kühe. Bei einigen von ihnen hängt der riesige Euter bis zum
Boden herab. Das ist nicht nur unnatürlich, sondern sieht auch abartig aus. Mir
tun diese Hochleistungskühe leid. Alex mit seinem Bein, tut mir aber auch leid.
Bei einem Bushäuschen stoppen wir. Endlich bandagiert Alex sein Bein doch mit
einem Tapeband.
Alex taped sein Bein
Das ist seine letzte Chance, ganz bis ins Ziel durchzukommen.
Ich spreche noch ein paar Heilungshexensprüche und gebe ihn für alle Fälle noch
einmal eine Schmerztablette. Wenn das alles nicht hilft, sind wir mit unserem
Latein endgültig am Ende.
Und siehe da, plötzlich geht es so halbwegs! Wir können weiterlaufen! Vielleicht
hält sein Bein nun doch durch! Hier hilft sicher auch der eiserne Willen
von Alex und sein Durchhaltevermögen. Ein anderer hätte sicher schon längst das Handtuch
geworfen. Aber dafür trägt er ja auch einen Teil des den Namens Alexanders des Großen.
Frühstück in Bad Brückenau
Bad Brückenau ist ein bekannter und beliebter Kurort. Daher
hofft Alex auf einen Kaffee und ich als Genussläufer auf ein üppiges Frühstück.
Zumindest ein Hotel sollte jetzt um etwa 8 Uhr morgens schon offen haben!
Endlich erreichen wir den schönen Kurpark, der im weichen Morgenlicht noch mehr
beeindruckt.
Auf dem Weg zum Frühstück in Bad Brückenau
Inmitten des Kurparks entdecken wir das
Bad Hotel Bad Brückenau, wo
Hotelgäste nach einer sicher geruhsameren Nacht als der unseren bereits im
Freien sitzen und frühstücken. Wir setzten uns an einen freien Tisch. Zu unserer
Freude bekommt Alex seinen Kaffee und ich darf mich für 10 Euro am reichlichen
Frühstücksbüffet bedienen. Dabei versuche ich den Hotelgästen nicht zu nahe zu
kommen, da ich so verschwitzt und verdreckt wie ich bin, sicher nicht allzu gut
rieche.
Das Frühstück belebt uns. So füllen wir uns um Klassen besser als zuvor, als wir
wieder aufbrechen. Nur das Anlaufen mit bereits etwa mühseligen 90 km in
den Beinen ist richtig unangenehm. Das tut so richtig schön weh! Aber nach
kurzer Zeit fühlt sich bald alles wieder besser an.
Über die Kuranlagen und den sehenswerten Kurpark verlassen wir das Kurgelände.
Blütenmeer im Kurpark
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