Wenn schon nicht für immer, dann
wenigstens für ewig … Das Journalistenprogramm beim Ultra-Trail du Mont Blanc
(UTMB) in Chamonix 2017.
Bedächtig wanderte ich mit einem
Dutzend anderer akkreditierter Journalisten den Berg hinunter Richtung Kirche Notre
Dame de la Gorge. Diese Kirche ist ein Ziel von Pilgern und sie verfügt
über einen prunkvollen, im Barockstil gehaltenen Altar und über schöne Fresken
aus der Renaissance.
Es ist ein besonders schönes Stück
UTMB zwischen La Balme und jener Kirche, wir befinden uns immerhin auf den
sichtbaren Spuren der Römer. Die Brücke, die wir überqueren, wurde noch von
ihnen erbaut und viele der in den Weg eingelassenen Steine stammen aus römischer
Hand.
Uns kommen unzählige Läufer*innen
entgegen, die sich diese Passage hinauf quälen. Es ist die erweitere Spitze des
elitären Läuferfeldes, die echten Eliteläufer hatten wir schon vor unserem
Abendessen in einem Zelt vor der Hütte La Balme verpasst.
Vorausgegangen war ein
Staufestival, das durch viel zu viele Autos, aber vor allem durch zwei Ampeln
hervorgerufen wurde, die kurz hintereinander unerbittlich nur wenige Autos pro
Grünphase durchließen, um den Verkehrsteilnehmern danach lange durch die
Rotphase gewissermaßen den gestreckten Mittelfinger zu zeigen.
Danach durften wir nicht in die
immer anlässlich des UTMB gesperrte Zufahrtsstraße zur Kirche Notre Dame de la
Gorge einfahren, ein dort stationierter Polizist machte
gewissenhaft seine Hausaufgaben und trotzte dem starken Regen und den noch
stärkeren Beteuerungen, Beschwichtigungen und Beschimpfungen.
Wir wussten schon beim Loslaufen
bei der Kirche, dass die D’Haenes, die Journets, die Thévenards, die Walmsleys,
die Picas‘ und die Husers dieser Welt längst schon diesen Punkt passiert
hatten.
Es regnete erbärmlich und so
packten wir uns für den rund 30 Minuten langen Marsch zum Abendessen am
Checkpoint La Balme warm ein, sehr warm, viel zu warm.
Eigentlich wissen wir ja alle,
dass man beim losgehen oder loslaufen leicht frieren sollte, dennoch entschied
ich mich für gleich vier Lagen am Oberkörper. Ich schimpfte schon sehr bald mit
mir und öffnete, was zu öffnen war.
Aber alles mal ganz von Anfang an.
Selbst an einem der vier Rennen der UTMB-Woche teilnehmen durfte ich ja nicht.
Wer zu spät kommt, der verpasst die Lotterie, wie schon Gorbatschow Richtung
SED-Führung 1989 sagte. Also freute ich mich, nach 2012, 2014 und 2016 zum
vierten Mal am Journalistenprogramm „Follow up“ teilnehmen zu
dürfen.
Es beginnt mit dem Beobachten des
Starts des UTMB. 2017 war ja ein ganz besonderes Jahr. Es war die 15. Austragung
des UTMB und aus Anlass dieses Jubiläums sorgten die Organisatoren des UTMB und
die Großsponsoren dafür, dass dieses Mal die gesamte Elite der Trailrunner an
der Startlinie stand.
Allein der Superstar der Szene, Kilian
Jornet, der hünenhafte François D’Haene und Xavier
Thévenard repräsentierten sieben der bisherigen 14 Siege beim UTMB der
Männer. Mitfavorit und als Erster der ITRA-Rangliste (ITRA ist die
Internationale Trail Running Association) mit der Startnummer 1 ausgestattet war
der Amerikaner Jim Walmsley, der auch lange das Rennen
anführte, es aber nur als Fünfter abschließen konnte, eine Stunde und 10 Minuten
hinter dem Sieger.
Außerdem starteten 2.533 weitere
Menschen, Menschen, die mich eigentlich viel mehr interessierten als die
Eliteläufer. Menschen, die für die Strecke statt 19 Stunden und einer Minute bis
zu 46 Stunden und 15 Minuten benötigten, das war nämlich die Zeit des
Letztplatzierten Emil Duch, einem Polen, der es noch vor dem Cut-Off ins Ziel
geschafft hat, als Finisher Nummer 1.687.
Also versuchte ich vor dem Start,
mich mit dem für das Trail Magazin schreibenden Torsten
Niecke aus Hamburg durch die Masse der Läufer*innen zu schlängeln, um
die eine oder andere, den einen oder anderen deutschen Läufer*in zu Gesicht zu
bekommen.
Ich entdeckte immerhin Martina und
Gaston Prüfer, das phantastische Ultra-Duo, das so viel Erfahrung
auf Ultrastrecken gesammelt hat wie nur wenige andere. Die beiden finishten
diesen Bewerb nach 41:29 Stunden als 924. bzw. 926.
Ich sah die beiden beim Abstieg
von La Balme zur Kirche wieder. Martina klagte dabei etwas über ihren Magen. Egal, Hauptsache gefinished,
oder?
Zudem fand ich Yvonne Lehnert, mit der ich nach dem GR20 auf Korsika 2015 noch zwei, drei
andere Events bestreiten durfte und meine PTL-Partnerin Gabi Kenkenberg. Die beiden liefen bis Courmayeur
zusammen, dann musste Yvonne Gabi ziehen lassen. Gabi finishte übrigens in
phantastischen 37:47 Stunden als 533.
„Hut ab“, sage ich da. Ich hatte
es von einer PTL-Finisherin aber auch nicht anders erwartet. Beide, Yvonne und Gabi, sah ich später am Checkpoint Courmayeur
wieder, noch waren beide gut gelaunt und Gabi verlangte vor allem nach
frischem Kaffee, ein gutes Zeichen, wie ich fand.
Und ich fand in der riesigen Masse
der Starter auch Eva Lohr und ihren Mann, die das Abenteuer UTMB aber nicht als
Paar, sondern als Einzelkämpfer bestreiten wollten. Eva
traf ich später ebenfalls in Courmayeur wieder, sie sagte mir, dass sie sich
entschieden hatte, mit Erwin Bauer zu laufen, weil ihr Mann
vorneweg wäre, er wollte den UTMB in „unter 30 Stunden“ abhaken.
Am Ende benötigte Eva
38:33 Stunden, ihr Mann aber musste auf der 167,5 Kilometer langen Strecke
schließlich aufgeben.
Mehr Deutsche sah ich nicht in der
großen Menge an Startern und so zogen Torsten und ich uns in
ein volles, aber wenigstens gut gelegenes Abteil kurz hinter der Startlinie
zurück. „Accreditation?“ wurden wir beim Eintritt in diesen Bereich gefragt, wie
gut, dass wir unsere Bändchen um den Hals hängen hatten.
Wir erlebten die letzten zwanzig
Minuten vor dem Start in diesem Presseblock. Und es waren fantastische 20
Minuten. Niemand kann sich vorstellen, wie spektakulär das warm-up Procedere
beim UTMB ist, wenn man das nicht schon mal live erlebt hat. Es wurde auf die
Absperrungen geklatscht, da gingen Tausende von Armen und Händen hoch, es würde
gegrölt und gelacht. Handys wurden in die Luft gestreckt und viele nutzten ein
Deppenzepter, um bessere
Bilder machen zu können.
Und in all dem Trubel stand der
große Kilian Journet, lächelte in die Menge und filmte. Filmte
den Start und die Minuten danach. Und anschließend postete er sein Filmchen noch
auf Facebook - während des Laufs!
Als ob es nichts Besonderes wäre,
mit den Eliteläufern in einem atemberaubenden Tempo die ersten Berge hoch zu
rennen ...
Irgendwann kam dann auch die
Startmusik, die legendäre UTMB Hymne und es kam das Gänsehaut-Gefühl auf und die
Menge lief los. Es dauert dann minutenlang, bis auch der letzte Läufer die
Startlinie überschritten hat, Minuten, die unvergesslich sind und die sich alle
Jahre wieder tief in meine Erinnerung einbrennen und eingebrannt haben, Jahr für
Jahr das gleiche geile Gefühl. Nur für diesen Start, so mein Rat, musst Du ein
Mal, wenigstens ein Mal, in Chamonix dabei sein.
Im Anschluss gingen wir dann zu
den Fahrzeugen und wir fuhren zuerst nach St. Gervais, wo wir mit Fingerfood und
Getränken versorgt wurden. Und wo wir auf die Ankunft der Helden warteten.
Hektik prägt das Presseprogramm
sowieso, es geht immer darum, die ersten Männer und die erste Frau zu sehen, um
dann sofort wieder weiter zu reisen.
2017 aber funktionierte das nicht
so gut wie geplant, was der immensen Zahl an Baustellenampeln und einem extrem
erhöhten Verkehrsaufkommen geschuldet war.
Es begann nun, dunkel zu werden
und es begann, heftig zu regnen. Das war nicht überraschend, immerhin wurde auf
Grund des zu erwartenden Wetters der Start des UTMB um 30 Minuten nach hinten
verlegt.
Wir erreichten die nächste Station
auch erst im Dunklen. Dass wir für die führenden Läufer zu spät kamen, das
wussten wir spätestens, als uns auf dem Weg nach La Balme fast das Supportauto
von François D’Haene rammte.
Aber wir fuhren weiter Richtung
Kirche Notre Dame de la Gorge, um dann eine Dreiviertelstunde
lang zum Checkpoint La Balme aufzusteigen.
Der Aufstieg hinter der Kirche Notre
Dame de la Gorge, direkt nach dem großen offenen Feuer, das dort Jahr
für Jahr die Menschen wärmt und etwas Licht spendet, ist einer der beliebtesten
Plätze für Zuschauer, ihre Freunde oder Familienmitglieder zu sehen, anzufeuern
und zu motivieren.
Wir waren aber nicht zum sehen,
anfeuern oder motivieren da, sondern auf dem gleichen Weg, den auch die Läufer
nehmen, im Aufstieg zum Checkpoint La Balme. Und kurz vor dem Checkpoint liegt
links eine kleine Hütte mit einem beleuchteten Zelt dahinter. Darin gibt es das
Abendessen - aber nur für die Anderen. Man bietet dort traditionsbewusst und
voller Stolz auf die regionale Küche zwar eine lokale schweinische Spezialität
an, aber als Vegetarier fühlt man sich gelegentlich dann doch vergessen und
verloren. Ich gönne mir also ein alkoholfreies Bier. Dass es alkoholfreies Bier
dort gibt, wundert mich sehr und ich genieße es umso mehr und schaue den anderen
zu, wie sie "Diots" mit Polenta zu sich nehmen. "Diots" sind eine schweinische
Wurstspezialität aus dem Savoyen, sie sehen gut aus und vor 20 Jahren hätte ich
mich wahrscheinlich noch gerne daran gemacht, sie zu probieren.
Nach 45 Minuten ist die Pause
vorbei und wir wandern wieder runter zur Kirche Notre Dame de la Gorge. Auf dem
Weg versuche ich, den einzelnen Läufer*innen auf die Körpermitte und die
Startnummer zu schauen. Oft gelingt es, aber ich entdecke lange keinen bekannten
Namen, bis plötzlich Falk "Schalk" Hübner erkannte. Ein kurzer
Gruß, eine Umarmung - und weg war er. Sehr starke 32:44 Stunden sollten am Ende
bei ihm auf der Finisherurkunde stehen.
Deutlich später begegneten mir die Prüfers, aber das schrieb ich ja schon einleitend.
Für uns ging es weiter runter und
dann rüber zu unserem Bus. Ständig kamen uns helle Stirnlampen mit schemenhaften
Menschen darunter entgegen. Für uns ging es erst einmal zurück nach Chamonix.
"Matratzenhorchen" oder besser:
einen Kurzschlaf halten.
Kurzschlaf deshalb, weil es schon nach 1 Uhr war, als ich auf mein Zimmer kam
und unabsichtlich meinen Zimmergenossen weckte. Er nahm es aber locker. Ich
stellte den Wecker auf 3.30 Uhr und konnte anfangs nicht sofort einschlafen.
Als dann aber der Wecker ging und
ich meinen Zimmergenossen unfreiwillig erneut weckte, sputete ich mich, weil die
Abfahrt des Busses auf 4.00 Uhr angekündigt wurde. Das erneute Wecken nahm er
nun nicht mehr ganz so locker.
30 Minuten können ganz schön wenig
sein für die Zahn- und Gesichtspflege, fürs Anziehen, fürs Umpacken und für den
Weg bis zum Treffpunkt. Ich musste mich arg sputen und schaffte es tatsächlich,
eine Minute vor 4.00 Uhr am Treffpunkt zu sein.
4.00 Uhr in Frankreich ist aber
nicht 4.00 Uhr in Deutschland, also hätten wir noch gut 10 Minuten Zeit gehabt.
4.00 Uhr in Frankreich ist aber
auch nicht 4.00 Uhr in Spanien, dort hätten wir wohl eher 30 Minuten Overtime
bekommen.
Der Liveticker beschäftigte uns
alle permanent, im Hotel, auf den Wegen und auch im Bus, sofern wir
Internetverbindung hatten. Mich interessierten natürlich vor allem die
Zwischenergebnisse der Läuferinnen und Läufer, die ich kannte: Gabi, Ivy,
Martina, Gaston, Eva ... am frühen Samstagmorgen war natürlich alles
noch bestens!
Unsere Fahrt ging nun zu einem der
schönsten Plätze des gesamten Rennens: der Lac Combal, wahrhaft ein magischer
Ort. Noch immer denke ich an die aufregenden Spiegelungen im Wasser. Und dass
wir später dann auf dem Rückweg dort bestes Wetter hatten machte das Verweilen
und das Fotografieren dort noch schöner.
Aber am Anfang, als es noch dunkel
war, war es auch noch recht kalt und beneidete die Läufer in dieser Situation
nicht, nein, sie taten mir eher leid. Und viele der Gesichter, in die ich
schaute, waren von der Anstrengung, der Kälte und der Übermüdung gezeichnet.
Vorbei am Lac Combal ging es und
weiter rauf zu unserer Frühstückshütte. Dafür war das Rifugio Elisabetta
auserkoren. Eine wunderschöne, aber relativ kleine Hütte, sie liegt auf etwa
2.200 Metern Höhe und Du hast von dort einen fantastischen Blick über das Tal
runter auf den Lac Combal.
Das Frühstück war sehr
französisch, sehr spartanisch. Kakao, Kekse und Milchbrötchen mit Marmelade gab
es für mich, Kaffee für die Kaffeetrinker. Ich liebe ja französisches Essen, nur
beim Frühstück hält sich meine Begeisterung für ein französisches Frühstück in
einigermaßen engen Grenzen.
Dann sollten wir eigentlich einen
anderen Weg runter nehmen, um die Läufer nicht allzu sehr zu stören, aber diese
Ankündigung war dann doch vergessen und wir wählten den gleichen Weg runter wie
rauf.
Es war ein schmaler Singletrail,
aber wir waren artige Zuschauer und versuchten stets, schnell und ausreichend
Platz zu machen, wenn wieder ein Läufer von hinten ankam.
Es waren sowieso "nur" noch die
Läufer des hinteren Drittels und ich hatte manches Mal das Gefühl, dass denen
eine klitzekleine Pause gar nicht unangenehm war, ganz im Gegenteil.
Zwei Läufer baten mich, sie doch
mit ihrer Kamera vor der tollen Bergkulisse oder der Kulisse mit dem Lac Combal
zu fotografieren. Und wenn Du jetzt denkst, dass die beiden dann gleich
weitergelaufen sind, dann täuschst Du Dich. Da wurden erst noch die Fotos
begutachtet und anschließend über das Internet geteilt. Hektik oder gar
übertriebene Ambitionen hatte keiner dieser Läufer, aber nun sahen alle wieder
gut und glücklich aus. Dass die Sonne aufgegangen war und die Temperaturen
gestiegen waren, trug offensichtlich zur Zufriedenheit der Läufer bei.
Besonders auffällig fand ich einen
Läufer, der tatsächlich als "Weihnachtsmann" unterwegs war. Ein roter Dress mit
weißen Applikationen, ein weißer künstlicher Bart und ein Leinensack, der um den
Rucksack gespannt wurde. Es muss auch ein sehr netter Weihnachtsmann gewesen
sein, denn eine Rute hatte er nicht dabei, mit der er sich ungebührlich
benehmende Kinder bestrafen hätte können.
Als wir nun zum zweiten Mal am Lac
Combal vorbei kamen, waren wir alle fasziniert von den Spiegelungen, die wir auf
der Wasserfläche zu sehen bekamen. Alle machten unendlich viele Fotos und ich
bedauerte zutiefst, keine digitale Spiegelreflexkamera mit einem lichtstarken
Objektiv dabei gehabt zu haben.
Ganz besonders schmerzlich
vermisste ich diese Kamera, als die Ruhe des Sees durch ein lautes Dröhnen
zerrissen wurde, weil ein Hubschrauber in unsere Idylle einflog.
UTMB-TV, der digitale
Live-Fernsehsender, der an diesem Wochenende in etlichen Privathaushalten und in
nahezu allen öffentlichen Cafés und Restaurants geschaut wurde, wurde unter
anderem auch von diesem Hubschrauber gespeist.
Ob wir "on air" waren, weiß ich
nicht, ich bezweifle es auch. So ist uns allen eine große Karriere im Fernsehen
verwehrt geblieben. Wie weit wir es wohl auf der Karriereleiter der
Fernsehanstalten geschafft hätten? Bis zum Passagiert auf einem Traumschiff von
Sascha Hehn vielleicht?
Ich fachsimpelte länger mit einer
befreundeten spanischen Journalistin über den UTMB und die Chancen, da dabei zu
sein. Ich erinnerte mich an das Jahr 2009, an meinen ersten Start dort.
Ich hatte 2008 gemeinsam mit
meinem Laufpartner Heiko Bahnmüller gerade den TAR (Trans
Alpine Race) abgeschlossen, als mir mein Freund Bernie Conradt
sagte: "Du hast jetzt 3 UTMB Punkte, dann musst Du auch den UTMB laufen!"
UTMB? Was ist das denn?
Noch Ende 2005 beim Troisdorfer
6-Stunden-Lauf, meinem zweiten Ultra, dachte ich, dass ein 6-Stunden-Lauf das
Größte, Längste und Beeindruckendste sein müsse, was es auf dieser Welt gibt. Es
war der Moderator dort, der mir diese Illusion nahm, als er den Durchlauf eines
Läufers erwähnte, der "dieses Jahr in Basel beim 24-Stunden-Lauf eine neue
Deutsche Jahresbestleistung aufgestellt" hat.
Es musste also noch etwas geben
jenseits des Sechs-Stunden-Laufs: den 24-Stunden-Lauf!
Aber was ist der UTMB?
Drei (alte) UTMB Punkte gab es
damals für den TAR und vier Punkte brauchtest Du für den UTMB 2009. Die
Punkteregelung war frisch eingeführt worden und die Zahl der Bewerber war noch
gering, so brauchte ich auf keine Lotterie zu hoffen. Heute schaffst Du es nicht
mehr, Dir mit einem langen oder einem Etappenlauf nahezu alle notwendigen
Qualifikationspunkte für den UTMB zu erlaufen. Es müssen schon zwei Großevents
sein.
Und dann, nach dem Sammeln der
notwendigen Punkte, muss die Läuferin, muss der Läufer, noch mit der Losfee
flirten. Etwa 2,5 zu 1 ist die Chance, dass Dein Name gezogen wird.
Nach zwei Pleiten in der Lotterie
hast Du aber einen garantierten Startplatz für das dritte Jahr, aber nur, wenn
Du immer noch die notwendigen UTMB Punkte hast, denn die verfallen am Ende des
auf das Event-Jahr folgende Kalenderjahr.
Früher hattest Du einen
garantierten Startplatz nach einer Niete in der Lotterie, aber die Zahl der
dadurch garantierten Startplätze wuchs ständig an und damit verringerten sich
die Startplätze, für die die Lotterie ja gemacht wurde. Nicht in den Lostopf
kommen natürlich die Namen der Eliteläufer, Läufer mit über 800 ITRA Punkten (ITRA,
Internationale Trail Running Association), die haben ein garantiertes
Startrecht.
Immerhin sind diese Läufer ja auch
die, auf die die Trailrunning Welt schaut, deren unglaubliche Leistungen die
Menschen motivieren und die den UTMB zu einem "outstanding event", zu einem
herausragenden Event, machen.
Als nächstes ging es zur
Dropbag-Station in Courmayeur-Dolonne. Dort scheitern die meisten UTMB-Träume,
nirgends wird so oft und so gerne aufgegeben wie dort. Wer da aufhört, der nimmt
seinen Dropbag mit nach Chamonix und nutzt den kostenfreien Pendelbus durch den
teuren Mont Blanc Tunnel und muss also nicht auf die Rückführung der Dropbags
warten, sondern könnte sofort die Heimreise antreten.
In Courmayeur gibt es aber mehr
als nur die Dropbags. Es gibt warme Essen, Massagen, medizinische Behandlungen,
einen Schlaf- und Ruheraum, alles, was Läufern helfen könnte, die restlichen
knapp 80 Kilometer zu bewältigen.
Immer wieder erstaunen mich die
Massen an Läufer*innen, die dort Pause machen, essen, die Füße behandeln oder
behandeln lassen, sie eincremen, säubern, die dort dösen oder zu schlafen
versuchen. Und inmitten dieser Menschenmengen sah ich erst Eva und dann auch
noch Yvonne und Gabi.
Den Dreien ging es noch gut, alle
waren konzentriert und auf das Finish fokussiert. Gabi aber
befragte mich nach der Wettervorhersage. Draußen schien die Sonne, es war warm
und traumhaft schön, eine perfekte Fortsetzung des Wetters am Lac Combal. Also
vermutete ich mal, dass die Läuferschar keinen Regen mehr abbekommen würde.
Es war ein Gewusel in der Halle,
ständig kamen neue Läufer in den riesigen Saal und andere Läufer nahmen sich
ihren Dropbag, um den draußen wieder abzugeben und den Lauf fortzusetzen.
Falk war zu dieser Zeit schon
lange durch und die Prüfers noch nicht in Courmayeur, zudem tickte unsere Uhr,
denn wir wollten keinesfalls zu spät wieder in Chamonix ankommen. Wir alle
wollten den Sieger sehen, den "König des UTMB", den Helden, der sich in diesem
Jahr der Helden gegen die unglaublich starke Konkurrenz durchsetzen können
würde.
Wunderbares Wetter also in
Courmayeur und wir schoben die Busnase tief hinein in den "weißen Berg", tief
und lange durch den Mont Blanc Tunnel. Und als wir dort rauskamen war die Welt
eine andere.
Regen, fünf Grad weniger
Temperatur, Nebel, richtig "usselig".
Das mit meiner Wettervorhersage
aus dem Bauch raus hat wohl doch nicht so ganz funktioniert. Vielleicht hätte
ich jemanden fragen sollen, der sich mit sowas auskennt? Gibt es da eine App
dafür?
Wir standen dann an der Ziellinie,
um auf den Sieger zu warten. Es war brechend voll, so voll, dass wir es nicht
einmal mehr in den Pressebereich schafften, sondern dort zu stehen kamen, wo die
normalen Zuschauer auch standen.
Dass es François D’Haene sein
würde, war schon länger klar, die Frage war nur, ob er über oder unter 19
Stunden finishen können würde. Kilian Jornet würde Zweiter werden, auch das war
klar. Tim Tollefson als Dritter vor Xavier
Thevenard und Jim Walmsley als Fünfter, auch das stand
schon lange fest. Nicht feststand, dass zwischen dem Ersten und dem Fünften
gerade mal 70 Minuten liegen würden, so wenig wie noch nie.
Aber noch war es nicht so weit.
Noch standen wir im Zielkanal und warteten. Immer wieder schauten wir auf die
Uhr und überlegten und rechneten. Und dann hieß es irgendwann: „Last kilometer
for François D’Haene!“
Der letzte Kilometer und nur noch
wenige Minuten bis zu den 19 Stunden, das war nicht zu schaffen. François
wollte das auch nicht mehr.
Wir standen glücklicherweise nahe
einer riesigen Bildwand und konnten uns seine letzten vierhundert Meter ansehen,
also weit vorausschauen, bevor er um die letzte Kurve kommen würde, um den
Zieleinlauf zu erreichen. Er lief gemütlich, des Sieges gewiss. Er schüttelte
Hände, er klatschte ab, er lächelte.
Die Startmusik war auch wieder die
Zieleinlaufmusik. "Conquest of Paradise", die Hymne des UTMB,
dröhnt aus den Lautsprechern, laut, sehr laut. Und wir alle bekommen eine
Gänsehaut. Wir zittern vor Anspannung und Freude und die Zuschauer, die direkt
an den Absperrungen standen, klatschen rhytmisch auf diese Absperrbretter.
Unzählige Handys sind nach oben gereckt, jeder will etwas von diesem magischen
Moment für immer festhalten.
Und dann kommt François um die
letzte Kurve. Wenn es bis jetzt laut war, sehr laut, dann wurde es nun extrem
laut. Er lief, als wären die vergangenen 168 Kilometer nicht anstrengend
gewesen, er passierte unter großem Jubel die Ziellinie und wurde von den Polettis,
von Catherine und Michel, den beiden Herzen
und Hirnen des UTMB, gedrückt.
Was für ein Gefühl muss das für
einen Läufer wie François D’Haene sein, solch einen triumphalen
Einlauf erleben zu dürfen? Und wie müssen sich die Franzosen gefühlt haben, wenn
einer von ihnen, einer von "Les Bleus", dieses legendäre Rennen gewinnen konnte?
In diesem Moment war vollkommen
egal, dass Frankreich erst seit Kurzem einen neuen, jungen Präsidenten hat,
Frankreich hatte in diesem Moment einen Star für die Ewigkeit, den "König des
UTMB", einen neuen Nationalhelden.
Und dieser Nationalheld lächelte.
Und er lief zurück bis zur Kurve
und klatsche die vielen ihm zugestreckten Hände ab, ein Mal runter, ein Mal
rauf.
Erst dann zog er seine UTMB Weste
an, die Weste, für die wir uns als Normalläufer quälen, die uns, wenn wir sie
tragen, heraushebt aus der Masse der anderen Läufer, die Weste, die immer das
schönste Kleidungsstück ist, das wir im Schrank haben, egal, welche Farbe und
welchen Schnitt diese Weste hat.
Die UTMB Weste ist etwas für die
Ewigkeit.
Und wenn ich dieses Jahr auch
nicht Laufen durfte, ich will immer wieder dabei sein in Chamonix, ob als Läufer
oder als Beobachter.
Und wenn schon nicht für immer,
dann wenigstens für ewig ...
Der UTMB in Zahlen:
Streckenlänge: 167,5 km
Höhenmeter: +9.457
Teilnehmer: 2.537
Finisher: 1.686
Did not finish (DNF): 851 (33,5%)
Schnellste Zeit: 19:01:54
Langsamste Zeit: 46:15:23
Top 3 Damen:
Nuria Picas (25:46)
Andrea Huser (25:49)
Christelle Bard (26:03)
Top 3 Herren:
François D’Haene (19:01)
Kilian Jornet Burgada (19:16)
Tim Tollefson (19:53)