Was macht das Gewürzregal? Jochen Brosig beim 8. Bad Windsheimer
Weinturmlauf
Meine Frau sagt, wenn Laufen wirklich so meditativ wäre, gäbe
es in Haushalt und Wohnung keine Probleme mehr. Nein, sie will sich auch nicht
beschweren über die vielen einsamen Sonntagsfrühstücke, wenn ich meinem Sport
nachgehe, der angeblich so wenig Zeit in Anspruch nimmt. Richtig ablachen kann
sie aber, wenn ich ihr erklären will warum ich so gerne laufe: „Ich kann so
wahnsinnig toll nachdenken beim Laufen. Da kommen mir die besten Ideen.“
„Ideen“, meint sie dann nur, „was bräuchten wir Ideen. Zum Beispiel, wie wir
endlich unser Küchenregal an der Wand befestigen. Aber bitte so, dass es nicht
gleich nach der zweiten Berührung wieder auf den Boden kracht.“
Ich bin ganz ruhig. Mit jedem Atemzug spüre ich, wie meine Schritte größer
werden. Meine Beine berühren kaum noch den Boden. Mein Körper wird leicht. Ich
hebe ab. Ich schwebe. Ich denke an nichts. An nichts! Beim Laufen sind die
Gedanken frei. Neben mir hustet jemand, zieht seinen Schleim hoch und spuckt
aus. Das reißt mich kurz aus meiner Meditation. Bad Windsheim. 10 KM-Lauf.
Genau! Alain, Birgit, Elisabeth, Günther und Helmut sind mit dabei. Elisabeth
und Günther starten mit mir beim 10er. Alain, Birgit und Helmut laufen den
Halbmarathon. Ich setze ein Bein vor das andere. Es gibt keinen schlechten
Zeitpunkt oder schlechten Ort zum Laufen. Das ist das Besondere am Laufen. Ich
spüre meinen Körper und bin mit mir im Reinen. Alles ist gut. Total klar.
Probleme? Was ist das? Mittlerweile haben wir den ersten Anstieg hinter uns
gelassen und laufen an KM 4 vorbei.
Laufen entspannt. Und wenn dann mein Gehirn ein Stunde Pause hatte, dann kann
ich die dringend auf Lösung wartenden Probleme dieser Welt wieder frisch
angehen. Meine Frau hat da eine ganz andere Vorstellung. Manchmal sitzt sie nach
meinen Läufen betont entspannt im Wohnzimmer, doch ihr Blick verrät sie.
Eigentlich könnte sie auch mit den Regalbrettern für das Küchenregal in der
Wohnungstür auf mich warten. Ihr Fuß würde bedrohlich wippen und sie würde mich
fragen, ob ich jetzt eine Idee hätte, wie dieses Regal endlich an die Wand
kommt. Wie banal! Im Moment geht es nur darum, wie meine Seele der Erleuchtung
entgegenfliegen kann. Ich kämpfe um die Plätze. Die Verpflegungsstation liegt
hinter mir. Heute läuft es gut. Ich gleite über den Asphalt. Der Wind bläst wie
immer in Bad Windsheim. Aber das stört mich nicht. Mittlerweile geht es wieder
leicht abwärts. Zeit um das Tempo anzuziehen.
Meine Frau versteht das nicht. Wenn ich sage, ich kann beim Laufen prima
nachdenken, dann denkt sie ausschließlich an Praktisches. Es geht um Stauraum
für Gewürzgläser, Kochbücher und Tupperbehälter. Behälter mit so lustigen Namen
wie Eidgenossen, Gewürz-Zwerge, Gewürz-Riesen, Wichtel, Julchen, Hitparade und
Quick-Chef. Letzterer klingt wie ein neuer Kosename für mich. Und wehe es steht
nicht alles an seinem Platz! Dann kommt der wahre Chef und es setzt einen
Anpfiff. Ich blicke auf die Startnummern um mich herum. Alles Halbmarathonis.
Ich liege ganz gut in der Zeit. Noch 2 Kilometer. Jetzt heißt es kämpfen.
Schritt für Schritt. Nicht nachlassen. Alles braucht seine Zeit. Auch ein
Gewürzregal. Ich brauche eben Zeit und ein paar Anläufe, bis solche Großprojekte
wie das Anbringen eines Küchenregals analysiert sind. Doch beim Laufen geht es
um mehr, ums große Ganze, nicht um solch schnöde Details. Man hat hinterher
einen ganz anderen Blick auf die Welt. Knoten lösen sich, Lösungen zeichnen sich
ab. Aber nicht für Regalbretter. Mehr so übertragen meditativ gemeint.
Die Zielgerade. Endspurt. Geschafft. Heute war ein guter Lauf. Viele gute Ideen!
10 KM-ZIEL. Aber für mich ist noch lange nicht Schluss. Wie letztes Jahr hänge
ich noch eine Runde dran. Eine Gewürzregal-Gedächtnisrunde. Der Wind bläst
stärker. Für mich läuft es weiterhin prima. Ich komme zum zweiten Mal zum Ziel
und stifte ein wenig Verwirrung, als ich neben dem Zielkanal vorbei laufe. Gut
gelaunt gehe ich zur Siegerehrung.
Auf der Heimfahrt denke ich noch einmal darüber nach: „Laufen macht frei! Da
löst sich vieles von selbst!“ Ich weiß schon jetzt was meine Frau darauf
antwortet: „Es löst sich nur deshalb vieles von selbst, weil ich es löse,
während du läufst. Und außerdem: Buddha, der Erleuchtete – er sitzt. Oder liegt.
Er ist dick. Und er lächelt das glücklichste Lächeln der Welt. Hast du schon
einmal einen laufenden Buddha gesehen? --- Eben!“
Run happy and smile! |