Nicht vergessen werde ich aber auch nicht das Gewitter, das uns mitten im
Niemandsland erreichte. Der Regen war recht warm gewesen, aber die Blitze waren
in der jungen Nacht so hell, dass ich jedes Mal aufs Neue mich erschrak und
zusammenzuckte. Und ich zählte die Sekunden, bis das Donnergrollen kam. Anfangs
kam ich auf fünf Sekunden, Tendenz abnehmend. Als dann nur noch drei Sekunden
verstrichen und später dann nur noch eine einzige Sekunde zwischen dem Blitz und
dem Donnerschlag Zeit war, kam fast etwas wie Angst auf. Aber es gab ja keine
Häuser, nichts zum Unterstellen, also mussten wir weiter. Und dann drehte das
Gewitter auch von uns wieder ab.
Es begann dann auch wieder eine längere Straßenpassage. Es ging die Küstenstraße
in der Hauptstadt Maó entlang, vorbei an unzähligen Booten immer weiter Richtung
Es Castell, Richtung Dropbag. Die meisten Menschen an der Strecke wissen, dass
Du ein Held bist und feuern Dich an, bewundern Dich und mir ging es heuer im
Gegensatz zum letzten Jahr so, dass ich fast die gesamte Küstenstraße laufen
konnte. Keine Stöcke dabei zu haben macht mich schneller, es nimmt mir den
Versuch, mich zu schonen, nur schnell zu gehen und die Stöcke durch die
Landschaft zu schieben. Und so war ich rund zwei Stunden früher an der 100
Kilometer – Marke, beim Dropbag, dort, wo Dich die Verantwortlichen fragen, ob
Du hier aufhören möchtest und ein Finisher des Trail Costa Nord (TMCN) sein
willst oder ob Du weiter gehst.
Letztes Jahr habe ich hier aufgehört und ich habe mich deshalb 365 Tage lang
über mich geärgert. Und weil ich mich nicht wieder ärgern wollte, noch richtig
gut drauf und auch recht schnell war, sagte ich, dass ich „selbstverständlich“
weiter laufen würde.
Ich zog frische und trockene Wäsche an, aß eine Kleinigkeit und ging nach nur 20
Minuten weiter. Es war gerade ein Uhr in der Nacht, später Nachmittag
gewissermaßen und ich war „fit wie ein Turnschuh“. Nur 13 Kilometerchen bis zum
nächsten VP, aber auf diesen 13 Kilometern änderte sich so viel in mir. Ich
wurde extrem müde, ständig fielen mir die Augen zu, ich lief Schlangenlinien und
so bat ich am nächsten VP um eine Decke und ich schlief eine Dreiviertelstunde
auf einem Gartenstuhl.
Ich wollte gerade weiter, als man mir eine Regenfront für die Zeit ab 6 Uhr oder
6 Uhr 30 ankündigte. Ich solle bis dahin beim nächsten VP sein, so die
Empfehlung. Das hätte ich auch geschafft, wenn sich die Regenfront an ihren
Fahrplan gehalten hätte. Hat sie aber nicht und dieser Regen war eiskalt. Ich
fror und ich kämpfte mich zum nächsten VP weiter. Der war aber auch einsam
geblieben. In einem Auto davor saß ein Mann, der mich darauf hinwies, dass die
Besatzung des VPs und einige Läufer in einem festen Gebäude hinter dem VP
ausharrten. Und dort verbrachte ich die nächsten fast drei Stunden, bis der
Regen aufhörte und die Sonne aufging. Viele der Läufer dort verließen an dieser
Stelle das Rennen, für mich kam das aber nicht in Frage.
Das war auch gut so, weil die Südspange noch viel schöner ist als der Norden.
Die Städtchen, die Buchten, die Strände, alles wie gemalt. Ich hätte weinen
können, so schön war es dort. Selten habe ich so viel fotografiert. Und doch
waren es eine Million Aufnahmen zu wenig, mindestens. Ich muss da im nächsten
Jahr unbedingt noch ergänzen.
Auf den letzten vielleicht fünfzig Kilometern war ich dann immens langsam. Jeder
Versuch, wieder zu laufen, endete mit einem Stolperer, mit Schmerzen im
Brustkorb durch die geprellte Rippe oder mit der Sorge vor einem erneuten Sturz
und so speedwanderte ich mehr als dass ich lief. Überholt haben mich aber fast
nur die LäuferInnen des 86 K Bewerbs Trail Menorca Costa Sud (TMCS), die
anderen CdC Läufer aus meiner Liga waren wohl ebenso müde und kaputt wie ich.
Nach der Kälte des Regens am frühen Morgen war es mittlerweile heiß geworden und
mit Wehmut erinnerte ich mich an den Vortag, an dem sich die Sonne weitgehend
versteckte.
Im Süden kommen die „Barrancos“, kurze, knackige Anstiege in Täler, die einsam
und verlassen außer einigen Trailern fast nie Menschen sehen. Und immer wieder
dazwischen eine Oase eines Städtchens, das sich für die Touristen schick gemacht
hat, sich weiß angestrichen hat und das azurblaues Wasser und weißen Sandstrand
trägt.
Und weil man ja immer mit dem aufhören soll, mit dem man angefangen hat, begann
etwa 13 Kilometer vor dem Ziel wieder ein Mörderwind, wieder voll auf den Mann,
und wir drückten unsere Körper gegen diesen Wind weiter. Die Strecke verlief
nach dem letzten VP auf einer scheinbar unendlichen Steinplatte, es war mir
egal, ich war ja längst zum Wanderer mutiert.
Aber dann endete auch diese Passage, Ciutadella lag wieder vor uns und wir
durften wieder Straße laufen. Das war in diesem Moment tatsächlich ein Segen für
mich gewesen und ich gab noch einmal richtig Gas. Es klappte tatsächlich auch
wieder mit dem Laufen.
Als mir aber jemand zurief, dass es „nur noch fünf Kilometer“ seien, beschloss
ich, abwechselnd zu Laufen und gelegentlich ein paar Meter zu gehen.
Eine Insel, die gerade mal knapp 95.000 Einwohner hat, die sich auf zwei Städte
und viele Städtchen verteilen, die kann aber auch eine Stadt beherbergen, die
scheinbar unendlich lang ist. Fünf Kilometer. Vorbei an Ferienhäusern,
Einkaufszentren, runter zu manchen Stränden und auf der anderen Seite gleich
wieder hoch, die Straßen entlang, um Roundabouts rum, Hügel rauf und am Ende
wieder einen Hügel runter, Richtung Ziellinie.
Zeit, sich locker zu machen und ein Grinsen aufzusetzen.
Aber als es dann in die jubelnde Masse hinein über die Ziellinie ging, da kamen
doch wieder einige Tränchen. Glück kann so feucht sein …
Victor, der Chef dieser Bewerbe, drückte mich im Ziel, es gab einige Fragen,
einige Fotos und dann auch noch ein eiskaltes Bier, natürlich von der Insel.
„Die Kleinere“ ist für mich tatsächlich die Größte, meine Lieblingsinsel. Ziel
meiner Träume und Sehnsüchte und ganz sicher auch Ziel meiner Laufschuhe im
nächsten Jahr, wenn es wieder auf den „Weg der Pferde“ geht, auf den Cami de
Cavalls.
Danke Menorca! Danke an Victor und sein engagiertes Team!
Bis 2016!
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