Ultra-Trail du Mont-Blanc 2018
vom 27.08. - 02.09.2018 - Vier Buchstaben bewegen die
Trailrunner-Welt - Film und Laufbericht von Thomas Eller
B, M, T und U sind, alphabetisch geordnet, die vier Buchstaben, die jedes Jahr
aufs Neue und jedes Jahr noch eine Stufe mehr die Trailrunner-Welt
elektrisieren.
In der richtigen Reihenfolge angeordnet stehen das U für Ultra, das T für Trail
und das M steht für Mont, also Berg, und das B für Blanc, Bianco, also Weiß.
Dabei ist der UTMB, der Ultra-Trail du Mont Blanc (offizielle Webseiten:
www.ultratrailmb.com oder
www.utmbmontblanc.com), durch eine ganze Reihe von
anderen Bewerben umgeben, von denen jeder einzelne Bewerb das Zeug dazu hätte,
als Hauptevent zelebriert zu werden.
Ob Du also beim OCC (Orsières über Champex-Lac nach Chamonix) über 55 K mit
3.500 positiven HM startest oder beim CCC (Courmayeur über Champex-Lac nach
Chamonix) über 101 K mit 6.100 positiven HM, ob Du Dich für den technisch
anspruchsvollen TDS („(Sur les Traces des Ducs de Savoie“ von Courmayeur nach
Chamonix) mit seinen 123 K mit 7.350 positiven HM entscheidest, ob Du im Team
den PTL („La Petite Trotte à Léon“ – „Der kleine Spaziergang des Léon“)
speedhiken willst, um dort 300 K mit 25.000 positiven Höhenmetern zu bewältigen
oder ob Du Dich für den namensgebenden Hauptevent, den UTMB mit seinen 170 K mit
10.000 HM, entscheidest, immer wirst Du von einer riesigen Schar Gleichgesinnter
begleitet sein. Immer wirst Du vorher „UTMB Punkte“ als Qualifikationskriterien
brauchen und immer wirst Du trotzdem noch etwas Losglück brauchen, weil es
jährlich viel mehr Interessentinnen und Interessenten gibt für die sowieso schon
riesige Zahl von 10.000 Startplätzen.
Dass 2018 noch mit dem MCC (Martigny über Combe nach Chamonix) ein neuer, nur 40
K langer und 2.300 positive HM starker, Bewerb dazu kam, sei ebenso der
Vollständigkeit halber erwähnt wie die Jugendläufe, die die Bewerbe des UTMB
begleiten.
Starterfeld beim UTMB 2017
Es ist also jedes Jahr aufs Neue mächtig voll in Chamonix und Umgebung in der
letzten Woche im August, so voll, dass der UTMB zwischenzeitlich der mit Abstand
größte Event von Chamonix darstellt, obwohl Chamonix als Skiort weltberühmt ist.
Und weil perspektivisch der Sommer immer interessanter und das Skifahren immer
unattraktiver wird, drängen eine Alpengemeinde nach der nächsten ins Geschäft um
Events, ums Trailrunning und um die mitreisenden Familien der Läufer*innen.
2018 hatte ich das Glück, den TDS selbst laufen zu dürfen und den UTMB durfte
ich vom Start bis zum Zieleinlauf im Rahmen des Presseprogramms verfolgen.
Wie aufregend dabei allein der Start des UTMB in Chamonix ist, insbesondere die
letzten Minuten vor und die ersten Minuten nach dem Startschuss, wenn sich
nacheinander Tausende von Trailrunnern bewegen, das siehst Du hier in diesem
Film:
Filmkanal abonnieren:
Unser Start beim TDS fand aber nicht in Chamonix statt, sondern in der
mindestens ebenso schönen italienischen Stadt Courmayeur, mitten auf dem Place
Brocherel wartend und dann durch die Altstadt von Courmayeur laufend. Was für
ein erhebender erster Kilometer! Eine wunderschöne Stadt, Tausende von
Zuschauern, die Deinen Weg säumen und normalerweise all das beim beginnenden
Tag.
Auf Grund des schlechten Wetters 2018 wurden drei Änderungen entschieden, die
eine davon war die Verschiebung der Startzeit von 6.00 Uhr auf 8.00 Uhr. Der
Vorteil für mich war, dass mein Bus von Chamonix, den ich eigentlich für 4.15
Uhr gebucht hatte, auch erst um 6.15 Uhr abfuhr, also konnte ich bis 5.15 Uhr
ausschlafen!
Ich hatte vor dem Start seit 11 Tagen Rückenprobleme, was mich aber nicht
hinderte, den HuBuT zu rocken und den Lauf „Rund um die Burg Are“ zumindest zu
starten. Aber die Rückenprobleme führten zur Einnahme eines Muskelrelaxans, von
Ibu-Tabletten und zur Verwendung von Wärmepflastern für den geplagten Rücken.
Vorsicht war also geboten und so ordnete ich mich ganz weit hinten in der Schar
der rund 1.775 Läufer*innen des TDS ein. Eine Platz 1.572 an zweiten
Kontrollpunkt bei km 11,36 am Arête du Mont-Favre spricht Bände und belegt meine
defensive Einstellung zum Lauf.
Finishen war die Pflicht, nicht gut aussehen, eine gute Platzierung erreichen
oder gut riechen … vor allem auch deshalb, weil ich ja wusste, dass ich 2016
beim großen Anstieg nach Bourg - St. Maurice in der unerbittlichen Hitze
scheiterte und den Rückweg antrat.
Nach jenem zweiten Kontrollpunkt geht es erst einmal wieder runter zum Lac
Combal, einem See, bei dem sich die schönsten Fotos machen lassen, weil sich die
Läuferinnen und Läufer, schwarz gegen den hellen Hintergrund wirkend, in diesem
See spiegeln.
Für die Läufer*innen des UTMB ist dieser See ein eher spätes Zwischenziel, für
uns lag er noch irgendwo im Aufwärm- oder erweiterten Startbereich.
Nun folgte ein langer Anstieg zum Chavannes, gut 2.600 Meter über N.N. und 2018
der höchste Punkt des Rennens. Lange ging es dann runter und dann wieder ein
Stückchen rauf auf den St. Bernard, der sich im Vergleich zum Chavannes wie ein
Bergchen zu einem Berg verhält. Einzig besonders und echt fies sind die letzten
rund 150 Höhenmeter auf den St. Bernard durch Heidelbeerbüsche auf einem ganz
besonders steilen Stück. Von oben brüllen die Helfer und Zuschauer auf Dich ein,
na ja, die haben es ja auch relativ leicht, weil dort oben eben auch eine
Passstraße entlang führt und das eigene Spazierengehen also nicht zwangsläufig
notwendig ist. Aber jene Menschen wissen Deine Leistung tatsächlich zu würdigen,
wahrscheinlich gingen ihnen schon beim Blick nach unten auf uns TDS-ler die
Augen über.
Und für uns ging es wieder runter. Lange, weit, tief. Bis nach Bourg - St.
Maurice, zum tiefsten Punkt der Strecke, nur rund 750 Meter über N.N. Und weil
Bourg - St. Maurice in einem Kessel liegt, merkst Du beim Downhill beinahe bei
jedem Kilometer, wie jemand sukzessive die Heizung hochdreht, bis Du dann dort
am Kontrollpunkt bist. Es ist ein ganz besonders großer Kontrollpunkt, der die
Gestrandeten, Gestrauchelten und Genervten liebevoll einlädt, die Startnummer
abzugeben, um sich dem Müßiggang hinzugeben und mit Bus oder Bahn ins Hotel
zurück zu fahren.
2016 sah ich schon die große Menge dieser Aussteiger, bedauerte sie und sagte im
Geiste zu ihnen: „Nicht mit mir!“
Damals zog ich nach der Materialkontrolle an ihnen vorbei, um den folgenden,
elend langen, nicht durch Schatten oder kühlenden Wind behinderten Ekelanstieg
zu meistern. Und nach der Hälfte des Aufstiegs, meine Schritte waren
mittlerweile extrem langsam geworden und eine Schneckenfamilie, die mich
passierte, schimpfte und sagte, dass die Langsamen, also ich, sich doch bitte
ganz weit rechts halten sollten, immerhin hätte man es ja eilig so als
Schneckenfamilie. Und ich begriff und ich drehte um, gestrandet, gestrauchelt
und genervt.
2018 hatten wir hier zwei große Vorteile. Erstens war es bei weitem nicht so
heiß wie 2016, außerdem wurde der Berg Passant umgangen. Dreihundert Höhenmeter
weniger also auf der Gesamtstrecke, das war auch die Entscheidung Nummer zwei
beim TDS.
Und ich kam gut hoch. Ich wäre auch gut auf den Passant gekommen, ich hätte mich
von dem bisschen Berg nicht irritieren lassen, keinesfalls. Aber so richtig
vermisst habe ich den zusätzlichen Anstieg dann doch nicht, obwohl gerade dieses
technisch sehr schwierige Stück rauf und runter zum eigentlich höchsten Punkt
der TDS Strecke ganz besonders schön sein soll. Muss ich mir also ansehen. Muss
ich also noch einmal dort hin …
Es wurde nun dunkel um mich, die Nacht brach an. Das war insofern sehr schade,
weil wir einige Kilometer neben einer Schlucht liefen, in der tief unter uns das
Wasser sprudelte. Wenn wir etwas gesehen hätten, dann hätten wir wohl etwas sehr
Schönes gesehen, so überließ die Strecke diese Passage unserer Fantasie.
Ich mag schmale Trails, bei denen es seitlich steil runter geht, aber das mag
nicht jeder. Und so konnte ich dann doch den einen oder anderen überholen, der
müde war oder Krämpfe hatte, wobei sich Muskelkrämpfe mit Heulkrämpfen wohl die
Waage gehalten haben.
Es ging über Kilometer runter durch das Dunkel der Nacht und der Trail, der 2018
eigentlich oft nur glitschiges und matschiges Etwas war, färbte die
Laufklamotten der meisten von uns Läufer*innen ein in ein einheitliches
Matschgrau. Ausrutschen war Pflicht an vielen Stellen, die eben gut gewässert
waren.
Aber dann kamen wir auf den Römerweg, über eine noch von den Römern gebaute
Brücke hinunter zur schönen „Chapelle Notre-Dame-de-la-Gorge“ (https://fr.wikipedia.org/wiki/Chapelle_Notre-Dame-de-la-Gorge),
einem der, wie ich finde, schönsten Abschnitte des TDS und noch mehr des UTMB,
weil beim UTMB dort immer sehr viele Zuschauer stehen, stets ein großes Feuer
brennt und die Läufer*innen, die von Les Contamines kommen und dort ab der
Rechtskurve den Anstieg zu bewältigen haben, dort gut bejubelt werden können.
Beim TDS geht es ja in die entgegengesetzte Richtung, also runter und nach
links. Es gibt kein Lagerfeuer und um vier Uhr am Morgen stehen auch keine
Zuschauer dort, die Dich bejubeln. Es ist aber erlaubt, sich diese Zuschauer
vorzustellen, von diesem Feuer zu träumen und sich von der Woge der
eingebildeten Anfeuerungsrufe tragen zu lassen, zumindest bis Du dann im großen
Kontrollpunkt Les Contamines ankommst.
An eine Cut-Off Zeit dachte ich zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr, nach
einem anfänglichen Polster von eineinhalb Stunden war es sukzessive auf einige
Stunden angewachsen und die Helferinnen in Les Contamines sagten mir, dass ich
ruhig etwas schlafen könne, ich müsse ja erst um 11 Uhr dort raus.
Aber mein Plan war, dann schon im Ziel zu sein, um die Hitze des Tages zu
vermeiden. Schlaf wird sowieso überbewertet und eine Nacht ohne Schlaf ist gut
für den Teint. Zudem bin ich ja ein bekennender Nachtläufer, genug Gründe also,
mich aufzumachen, um die drei letzten Berge zu bezwingen.
Der Weg von Les Contamines nach Les Houches war die dritte Änderung des TDS. Sie
war aber keine Erleichterung, ganz sicher nicht!
Und schon am Ortsausgang von Les Contamines schien mir jemand den Stecker zu
ziehen. Hatte ich doch bislang an den Uphills immer Plätze gut gemacht, war es
nun so steil, dass ich von den Läufern hinter mir eingeholt wurde. Aber nach
knapp der Hälfte der zu bewältigenden Höhenmeter wurde es zum einen deutlich
flacher und zum anderen deutlich heller, der neue Tag begann. Und ich gewann
wieder an Fahrt.
Ein paar Höhenmeter runter und dann kam der fieseste Anstieg der gesamten
Strecke. Du kommst gerade vom ersten Berg runter, es geht ein paar Hundert Meter
flach zum nächsten Berg, dem „Col Tricot“ und Dann siehst Du nichts mehr, nur
noch Berg.
Dann drehst Du den Kopf nach oben und siehst scheinbar direkt über Dir die
anderen Läufer, die die äußerst steilen 800 Höhenmeter schon teilweise oder ganz
bewältigt haben.
Schritt für Schritt geht es rauf, rechts und links des Trails pausieren
teilweise verzweifelte Menschen, die sich fragen, ob es überhaupt
menschenmöglich ist, diesen Berg zu bewältigen.
Es dauert, aber es ist tatsächlich möglich. Langsam, aber konstant, zog ich
rauf, Bogen für Bogen, Serpentinchen für Serpentinchen.
Der dritte und letzte Berg ist dann eher noch ein Dessert, ein kleiner Huckel,
der Dich zum Bellevue bringt und die Aussicht auf eine tolle Aussicht und vor
allem auf noch ein paar bessere Plätze im Ranking ließen mich fliegen. Ich lief
mit einem englischen Downhill-Spezialisten, der mich motivierte, mehr Gas zu
geben als ich das alleine getan hätte. Das war gut und keine zwanzig Kilometer
vor der Ziellinie und ohne größere Anstiege auch vollkommen ungefährlich.
Und in diesem schnellen Downhill-Tempo ging es dann runter von der schönen
Aussicht zum Kontrollpunkt in Les Houches, dem ersten Kontrollpunkt des UTMB.
Von da aus sind es nur noch rund 8 Kilometer bis zur Ziellinie. Ein wenig rauf,
ein wenig runter, mal gehen, mal traben, diese ersten Kilometer des UTMB, die
beim TDS gewissermaßen den Zielkanal darstellen, sind angenehm, führen durch den
schützenden Wald und spätestens jetzt weiß wieder jeder Spaziergänger, was da
von den Trailrunnern geleistet wurde.
Und dann kommst Du rein nach Chamonix. Es sieht eher unspektakulär aus, Du musst
noch eine Straße rauf gehen, das alles zieht sich, es ist schon recht warm und
Du bist schon am rückwärts zählen, noch vier Kilometer, noch drei Kilometer,
noch zwei …
Und dann ist da die Fußgängerzone. Die ist verdammt noch mal sehr lang, auch
wenn Du nur gut die Hälfte davon ablaufen musst. Die Menschen rechts und links
des Wegs jubeln und feuern Dich an, viele machen Lärm, indem sie auf die mit auf
Platten gedruckte Werbung an den Drängelgittern schlagen. Du willst Dir jetzt
keine Blöße mehr geben und gehen, Du willst Held sein. Und das wirst Du auch
sein in wenigen Minuten, wenn es dann nach links rauf geht zur Ziellinie, zu dem
berühmten UTMB Zieltor, das schon millionenfach fotografiert wurde, mal mit, mal
ohne die Kirche im Hintergrund, auf die Du zuläufst.
Und mir liefen auch noch die Tränen. Die Anspannung weicht in diesem Moment aus
Deinem Körper, Du fühlst nichts, aber Du bist so glücklich, wie Du es nur selten
bist. Und Du würdest diesen Moment am liebsten einfrieren, die Szenerie
aufrollen und mit nach Hause nehmen, Du würdest am liebsten wieder zur letzten
Kreuzung zurück gehen, um diese letzten Meter erneut zu machen, so schön ist ein
Zieleinlauf in Chamonix.
Und dann ist sie verdient, die Weste, nach der wir Trailrunner so gieren, die
Weste, die „Normalo“ nicht erkennt, die Dich in Trailrunnerkreisen aber ausweist
als einen, der den CCC, den TDS, den UTMB oder sogar den PTL gefinished hat. Und
damit Du weißt, bei welchem Bewerb Du warst, welchen Bewerb Du gefinished hast,
stehen die Buchstaben „CCC“, „TDS“, „PTL“ oder eben „UTMB“ auf dieser Weste, auf
dieser Weste, die Du von nun an lieben wirst und die Dich immer, wenn Du sie
trägst, an diesen Moment des Zieleinlaufs erinnert.
Oder die Weste, die Du immer dann anziehst, wenn Du zweifelst, wenn es Dir
schlecht geht und Du den Mut verlierst. Du wirst sie dann anziehen und sie wird
Dich daran erinnern, welche Leistung Du schon vollbracht hast. Kein Grund zu
zweifeln, kein Grund, dass es Dir schlecht geht, kein Grund, den Mut zu
verlieren.
Aber viele Gründe, sich auch im nächsten Jahr wieder für einen der Bewerbe des
UTMB zu bewerben. Wenn die Glücksgöttin Dir hold ist …
Dass ich mich mit einer Zeit von 26:33:27 Stunden am Ende bis auf Platz 530
verbessern konnte, das sei nur am Rande erwähnt. Es verblasst auch angesichts
der ungeheuren Geschwindigkeiten, die ganz vorne im Läuferfeld gerannt werden.
Der Sieger, Marcin Świerc vom Buff Pro Team aus Polen, brauchte lediglich
13:24:00 Stunden für die Strecke, also kaum mehr als die Hälfte meiner Zeit. Und
die beiden Herren, die es auch noch aufs „Treppchen“ geschafft haben, Dylan vom
TNF Team aus den USA (13:25:02 Stunden) und Dmitry Mityaev vom Adidas Terrex
Team aus Russland (13:25:43 Stunden), folgten dem Sieger innerhalb von nicht
einmal zwei Minuten.
Bei den Ladies siegte Audrey Tanguy aus Frankreich in sensationellen 16:05:22
Stunden, Platz 2 belegte Rory Bosio vom TNF Team aus den USA mit 16:19:36
Stunden und Dritte wurde Caroline Benoit vom Oxsitis / Odlo Team, ebenfalls eine
Französin, in 17:18:02 Stunden.
Zeiten sind das, davon kann unsereins nur träumen.
Aber uns bleibt immer der Traum vom Finish in Chamonix. Und den träumen wir
jedes Jahr neu.