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Sardona Ultratrail vom 15. - 16.09.2012 - Fast 19 Stunden Laufspaß - Bericht von Thomas Schmidtkonz

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Sardona Ultratrail 2012

Lichtspielereien beim Sardona Ultratrail 2012

Einleitung

Die Tektonikarena Sardona rund um dem etwas über 3000 m hohen Piz Sardona wurde im Juli 2008 von der UNESCO zusammen mit einem 32'850 Hektar großen Gebiet in das Weltnaturerbe aufgenommen. Weil man sich einen großen Teil der Schönheiten dieser Hochgebirgslandschaft nur erwandern oder erlaufen kann, wurde dazu der Sardona Welterbeweg eingerichtet.
Ein paar Schweizer Bergläufer um Umberto Michelucci waren von dieser grandiosen Hochgebirgslandschaft rund um diesen Wanderweg so begeistert, dass sie dort einen neuen Ultratrail quasi von Läufern für Läufer ins Leben rufen wollten. Als Strecke wählten sie dabei einen sehr anspruchsvollen Rundkurs von 86 km und über +- 6500 Höhenmetern.
Leider spielte dann die Tage zuvor das Wetter nicht mit. Es schneite bis auf 1500 Meter Höher herunter und bei den Höhen über 2500 Meter waren über 50 cm Neuschnee angesagt, so dass in den Hochlagen über 2800 Meter Höhe sogar Lawinengefahr herrschte. Das Wetter besserte sich dann zwar bis zum Lauftag wieder. Dennoch lag immer noch in Höhen über 2000 Meter Schnee und ab etwa 2400 Meter wurde es problematisch.
Da dem OK - Team in enger Abstimmung mit der Bergwacht  die hohen Pässe der Originalroute zu riskant waren, erarbeiteten sie kurzfristig eine Ausweichroute als Wendestrecke von etwa 70 km Länge mit immer noch knapp +- 5000 Höhenmetern. Die zwei höchsten Pässe lagen dabei immer noch auf jeweils etwa 2300 Meter Höhe. Auch blieben die Wege weitgehend "trailig" und die Landschaft rund um die Laufstrecke war weiterhin sehr schön.

Start und Besteigung des Garmil

Das ist die Ausgangslage, als sich am Samstag Morgen gut 80 Läufer in der gut 1500 Meter hochgelegenen Bahnstation in Furt treffen. In einem Restaurant nebenan wärme ich mich erst einmal auf, weil es draußen immer noch sehr frisch ist. Wer will, kann hier auch noch sein Frühstück nachholen. Dabei treffe ich einige Bekannte wie die "Trail-Maniaks" Verena und Stephanie vom Wörthersee Ultra , Daniel der für marathon4you heute berichtet und Sven mit dem ich schon zusammen die Seilbahn hier hochfuhr und der heute für die Team Bittel Seite berichtet.

Wenige Minuten vor dem Start begeben wir uns zum Startplatz, wo noch unsere Pflichtausrüstung überprüft wird. Im Gegensatz zum Irontrail, der sogar Sonnenbrille und Sonnencreme u.ä. eher weniger überlebenswichtige Dinge verlangte, müssen wir hier nur die wirklich wichtigen Dinge vorweisen. So geht die Kontrolle relativ schnell über die Bühne und beweist auch, dass eine Kontrolle direkt vor dem Start möglich ist und nicht bei der Startnummernausgabe erfolgen muss, wo sie ohnehin wenig Sinn hat, weil dann immer einige "Schlaumeier" beim Start mit weniger "Ballast" erscheinen.

Weil wegen der Kälte sich einige, mich eingeschlossen, etwas zu spät zur Kontrolle eingefunden haben, muss der Start um 5 Minuten verschoben werden, was aber sicher für alle verkraftbar ist und bei der Länge der heutigen Strecke wohl auch nicht zu sehr den Zeitplan durcheinander bringt.

Als aber dann der Startschuss fällt, meinen anscheinend doch einige, dass sie die 5 Minuten auf dem ersten Kilometer wieder gut machen müssen und rennen wie bei einem 100 Meter Sprint los, so dass ich schon als Letzter die Startlinie überquere. Na so, habe ich mich wenigstens schon mal richtig einsortiert!

Sardona Ultratrail 2012

Der Start

Der erste Kilometer geht erst einmal auf bereits trailigem Weg bergab. So komme auch ich etwas in Schwung. Beim ersten Anstieg hole ich einen Läufer ein, der sich gerade umzieht. Ich sage: "Gute Idee!" und bleib auch stehen und lege die nun überflüssigen Klamotten ab und ziehe die lange Hose aus, worunter schon meine Shorts angezogen sind. So geht dann das ganze etwas schneller.
Mit nun deutlich schwereren Rucksack gehe ich so den ersten Anstieg an. Dabei überhole ich zwei Wanderer. Wenn ich schon keine Läufer des Sardonas überholen kann dann doch wenigstens die fitten Wanderer! Sven, der noch netterweise auf mich gewartet hat, sagt zu mir: "Also, wenn die beiden Dich wieder überholen, solltest Du einen Zahn zulegen, damit Du das ganze innerhalb der Zielschlusszeit noch schaffst!"  Diesen schönen Ratschlag mir mit auf dem Weg gegeben, lässt er mich Laufschnecke links stehen und zieht von dannen.

Der Trail schraubt sich nun steil den gut 2000 Meter hohen Garmil hoch. In der Ferne, schon in der Nähe des Himmels, sehe ich die letzten Läufer vor mir. Nun bin ich ganz allein, nur die zwei Wanderer hängen mir penetrant im Nacken. Die Höhenluft macht mir zu schaffen. Ich habe mich diesmal nicht akklimatisiert, Das rächt sich nun und irgendwie finde ich heute morgen nach einer kalten Nacht im Zelt nicht so recht meinen Rhythmus. Aber der Blick auf meine Laufuhr beruhigt mich. In der letzten Minute habe ich 13 Höhenmeter geschafft und so in etwa geht es weiter. Alles was da sich im zweistelligen Bereich bewegt, ist für mich ok. Eigentlich kann ich doch sogar etwas Tempo rausnehmen. Ist doch egal, wenn mich die Wanderer überholen! Das muss mein Ego verkraften und vergiss Svens dummen Spruch! Entscheidend ist, dass Du Dein eigenes Tempo findest!
Also lass ich die beiden Wanderer an mir vorbeiziehen! Die wollen heute auch sicher nicht 70 km laufen bzw. wandern!

Bald erreiche auch ich nach den ersten 500 Höhenmetern der Strecke das Gipfelkreuz des Garmils, wo sich die beiden Wanderer schon eine Pause gönnen. Aha, habt Ihr Euch doch etwas verausgabt! Mein Ego freut sich und fröhlich laufe ich nun einen wunderschönen schmalen Pfad durch eine grandiose Hochgebirgslandschaft leicht bergab. So gefällt mir das doch schon wieder viel besser!

Langer Weg nach Weisstannen

Nach gut 6 km Laufstrecke erreiche ich in Gaffia in 1867 m Höhe den ersten Verpflegungspunkt. Ein Blick auf die Uhr zeigt zwar, dass ich mich noch im Zeitrahmen bewege, aber es doch mit der ersten Zielschlusszeit in Weisstannen nach 17 km Laufstrecke knapp werden könnte, denn nun liegt erst einmal ein weiterer heftiger Anstieg von etwa 500 - 600 Höhenmetern vor mir.
Ein Singletrail schraubt sich nun die Himmelsgipfel rund um die Gamidauspitz endlos in die Höhe. Dabei überhole ich endlich mal eine Wandergruppe, die sich hier deutlich mühevoller hoch kämpft als ich es tue.

Schließlich erreiche ich mittlerweile im Bergnebel die Passregion. Dabei denke ich mir, dass ich da heute Nacht noch einmal vorbei kommen werde, aber dann in die andere Richtung. Aber schon lenkt mich ein wunderschönes kleiner See in dieser wegen dem Nebel leicht gespenstischen Bergwelt ab.

Nach einem weiteren Anstieg von gut 100 Höhenmetern erreiche ich die Passhöhe, wo mich ein netter Mann von der Bergwacht fotografiert:

Sardona Ultratrail 2012

Auf der Passhöhe am Gamidauspitz in ca. 2300 Meter Höhe

Hier oben liegt noch Schnee und es ist bitterkalt. Daher halte ich mich nicht allzu lange auf und laufe nun gen Tal.
Aber wo ist denn hier der Weg? Unsere Strecke führt nun auf einer sehr holprigen Bergwiese immer steiler bergab. Nur ein paar Holzstecken markieren unseren Weg. Aber irgendwann sind auch die nicht mehr zu sehen.
Bin ich noch richtig? Vor mir auch keine Läufer, an die ich mich orientieren könnte, obwohl man hier weit schauen kann. Ganz alleine verlassen in einer grandiosen Bergwelt fühle ich mich vergessen und verloren. Wie gut, dass ich wie immer bei so was mein Garmin Dakota 20 Navigationsgerät mit Kartenmaterial dabei habe. So weiß ich gleich wo ich bin. Oha, da bin ich viel zu weit links abgekommen! Während ich gespannt auf mein Navi gucke, versinke ich mit dem linken Fuß in einem tiefen Schlammloch.
Auch das noch! Meine schönen neuen Schuhe sind nun schlammgebadet, während die braune Soße auch noch über den Schuhrand in Richtung Strumpf und Innenschuh rein läuft. Oh je, das hat ja auch noch Blasenpotential und das gerade mal nach 10 km Laufstrecke! Ich versuche mit meinen Fingern des Schlammfluss in Richtung Schuhinneres zu stoppen und bereits eingedrungenen Morast wieder raus zu befördern. Wie dumm, dass ich keine Ersatzstrümpfe mitgenommen habe!

Diese Wiese ist ja mit bodenlosen Schlammlöchern nur so gespickt und dabei muss ich auch noch wieder den ohnehin nicht vorhandenen Weg finden. Oh, da rechts unten irrt ja auch ein anderer Läufer herum. Da unten ist ja eine Hütte und so was wie ein Weg. Da will ich nun auch erst einmal hin und dann sehe ich weiter.

Ich erreiche endlich an Schlämmlöchern vorbeijonglierend die Hütte. Der andere Läufer ist nun noch weiter nach rechts abgewichen. Ob das richtig ist? Nein! Direkt geradeaus unter mir ist ja wieder einer dieser Stecken, der unsere Strecke markiert. Ich winke dem anderen Läufer zu, hier musst Du runter! Er pfeift zurück. Nein, du musst zu mir rauf. Bei ihm flattern ein paar Bänder! Was ist nun richtig der offizielle Stecken oder die Bänder? Ich entscheide mich für den Stecken. Der Stecken ist Trumpf! Als ich einen zweiten noch weiter unten entdecke, winke ich noch einmal den anderen Läufer zu und er sieht ein, dass er und nicht ich auf dem Hohlweg ist.

Ab nun wird der Weg immer besser. Es ist zwar immer noch ein Singletrail, aber ein dennoch schon ein recht passabler Wanderweg, Ich befinde mich immer noch in etwa 2000 Meter Höhe und weil wir in Richtung tiefsten Punkt der Strecke in 908 Meter Höhe laufen, weiß ich dass es noch weit bergab gehen muss. Ein Blick auf die Uhr zeigt, dass ich viel Zeit verloren habe und nun nur noch eine gute Stunde Zeit bis zum Zwischenzeitcheck in Weisstannen habe. Gut 1000 Höhenmeter bergab und dann noch mal ein Gegenanstieg auf dem Weg nach Weisstannen, das wird sehr knapp werden! Ich muss nun verdammt viel Gas geben. Das wird eine Hatz werden, so wie ich es als Genussläufer gar nicht mag. Aber was soll ich viel jammern? Da muss ich jetzt durch und beschleunige mein bislang moderates Lauftempo.

Bald erreiche ich einen Fahrweg. Das kommt mir für ein Renntempo entgegen. Ich renne nun fast volle Kanne, was bei mir wohl so ca. 12 km/h sind. Dabei fange ich mir immer wieder kleine Steine in den Schuhen ein. Aus Zeitmangel entferne ich nur die schlimmsten davon. Die dadurch bedingten Schmerzen an der rechten Fußsohle werden mich dann den ganzen Rest des Laufes begleiten und mir später auf den Bergabpassagen speziell auf den asphaltierten Fahrwegen einiges an Zeit kosten. Aber all das spielt nun keine Rolle, weil das Damoklesschwert der 4 Stunden Zielschlusszeit in Weisstannen über mir hängt.
Auf dem Fahrweg komme ich schnell voran, verliere aber wenig Höhenmeter, weil es nicht allzu steil runtergeht. Meist liege ich bei so knapp 20 Höhenmeter pro Minute bergab. Wenn ich das dann so hochrechne, reicht das nicht aus um rechtzeitig im Tal zu sein, Auch kann die Streckenangabe von 17 km nie und nimmer stimmen, das müssen viel mehr Kilometer sein!

Des Rätsel Lösung folgt zugleich. Plötzlich biegen wir vom Fahrweg ab, Nun geht es mal wieder eine sehr steile und natürlich auch matschige Wiese auf weglosem Gelände bergab. Obwohl die sehr holprig ist, verliere ich da auch mal prompt 25 und mehr Höhenmeter pro Minute. Jetzt bin ich zwar deutlich langsamer in horizontaler Richtung, aber in vertikaler Richtung kann ich nun ordentlich zulegen.

Schließlich verschwindet ein schmaler Pfad im Wald. Stellenweise ist das eine regelrechte Schlammbahn dazu mit bodenlosen Schlammlöchern zwischendurch gespickt. Als momentan vorletzter Läufer komme ich auf diesen wegen der Vorgänger, die ihn schon besonders liebevoll ausgetreten haben, in den Genuss einer besonders schönen Rutschbahn, welche wirklich die Gleitfähigkeit von Schmierseife hat. Da retten mich nur noch meine Stecken. Ohne sie wäre ich schier verzweifelt. Aber spätestens seit dem Mountain Man 2010 habe ich gelernt, dass man so was am besten mit Stecken läuft.

Sardona Ultratrail 2012

Wenig vertrauensvolle Brücke im Schlammwald

Ein komisches Gefühl an der linken großen Zehe schreckt mich auf. Oh je, mein linker Strumpf löst sich in seine Bestandteile auf! Ob das Blasen gibt?
Momentan habe ich aber mehr mit dem Problem der 4-stündigen Zwischenzielschlusszeit zu kämpfen. Im Augenblick kann ich mich nicht auch noch mit dieser Sorge befassen!
Endlich verlass ich den Wald des Schreckens mit als seinen Sumpflöchern und überquere die Seex bei Müli, welche mit 908 Metern den tiefsten Punkt unsere Strecke markiert. Wie weit wird es noch bis Weistannen sein?
Fatalistisch betrachte ich nun den giftigen Gegenanstieg in Richtung Weisstannen. Man könnte hier ja auch bequem die leicht ansteigende Landstraße in Richtung Weisstannen laufen, aber nein stattdessen führt ein steiler Pfad den Hang hier hoch!
Das wird wohl mit den 4 Stunden nicht klappen. Also, wenn die mich da rausnehmen, endet mein Bericht schon hier!
Frustriert nehme ich Tempo raus und lass den Läufer hinter mir aufschließen. Es ist Bernd aus Hagen. zwar mit intakten Strümpfen, aber dafür mit einem abgebrochenen Stecken. So hat jeder mit seinen eigenen Handicaps zu kämpfen. Wir werden ab nun eine ganze Zeit mal gemeinsam und dann wieder mit etwas Abstand voneinander weiterlaufen.
Ich sage: "Umberto erklärte mir gestern, dass das mit den Zwischenzielschlusszeiten nicht ganz so streng gehandhabt wird. Aber wer weiß?" Zwischen einem Hauch von Hoffnung und Skepsis schwankend erreichen wir eine nicht markierte Wegkreuzung. Wie geht es weiter? Rätselraten. Wieder rettet mich mein Blick aufs Navi. Hätten wir auf die Wanderkarte geblickt, die jeder von uns bekommen hat und mitführen muss, hätten wir es aber auch erkennen müssen. Aber der Mensch wird bequem und verlässt sich lieber auf moderne Technik und schaltet so auch mal das Denken aus! Aber für viel Nachdenken haben wir momentan ohnehin keine Zeit!

Endlich erreichen wir beide Weisstannen. Wir liegen schon über 10 Minuten in der Zeit. Aber links stehen ein paar so lustige Ziegen herum. Die muss ich noch fotografieren. So viel Zeit muss sein!

Sardona Ultratrail 2012

Ziegen in Weisstannen. Jetzt fehlen im Heidiland nur noch Heidi und der Geißenpeter!

Bernd schaut auf sein GPS - Gerät. Statt der angeblichen 17 km waren es 20 km (in Wirklichkeit wohl dann noch mehr) und das mit wohl über 1300 Höhenmetern rauf und auch einigen bergab. Wenn wir da nach vier Stunden rausgezogen werden, dann ist das ja strenger als beim Mountain Man. Ich wollte ja nicht mehr bei so was mitlaufen, wo ich mich hetzen muss.
Aber die Sorge war nicht berechtigt, wir werden zwar belehrt, dass wir etwas über der Zeit liegen, aber weil es ja alles so matschig, alles nicht immer optimal markiert und alles auch so schwer war, dürfen wir weiter laufen,  wenn wir uns gut fühlen! Sofort bestätigen wir, wie toll wir uns nun fühlen!

Bernd und ich genießen die reichliche Verpflegung, die keine Wünsche übrig lässt und ich kann endlich mal die Steine aus meinen Schuhen entfernen und tausche einfach den linken mit dem rechten Socken, obwohl diese mit links und recht markiert sind. Aber so stört das Loch bei der großen Zehen nicht mehr. Leider haben sich bei dem einen Problemsocken auch noch Löcher unten gebildet, wo mir die Fußsohle wegen der Steine zuvor ohnehin schon weh tut. Ich schimpfe über diese Laufsocken, die ich erst zum 3. oder 4. mal anhabe und ziehe dann von dannen.

Auf dem Weg zur Spitzmeilenhütte bis zur Wende

Wären wir rechtzeitig in Weisstannen angekommen, hätten wir bis zur Wende bei der Spitzmeilenhütte 6 Stunden Zeit gehabt. Weil wir nun aber mit der Rast eine weitere halbe Stunde verloren haben, haben wir nur noch 5 1/2 Stunden Zeit. Mal schaun, ob das für uns machbar ist.

Wir laufen nun zuerst auf einer leicht ansteigenden Landstraße. Ich hasse zwar Asphalt, aber nun bin ich ausnahmsweise darüber mal nicht so unglücklich. "Du Bernd, da rechts sind Bändchen, ich glaub da müssen wir weiter!" Aber weitere Bändchen versperren den Weg. Was ist nun richtig?
Bernd bewahrt diesmal mich vor dem falschen Weg. Er entdeckt eine Markierung gerade aus vor uns. Also es geht geradeaus und nicht rechts weiter. Das ist alles heute schon etwas verwirrend!

Der Weg geht nun in einen Fahrweg über, stets mehr oder weniger bergauf ist aber gut zu laufen. Ich trabe gemütlich in meinem Ultraschlappschritt und lass dabei Bernd etwas hinter mir.
Plötzlich versperrt ein Stromband als Einzäunung den Weg. Das hat eine blöde Höhe. Zum Überqueren ist es etwas zu hoch und zum Durchschlüpfen etwas zu niedrig. Ob da Strom drauf ist? Ich entschließe mich fürs Durchkriechen und bleibe prompt mit meinem Rucksack hängen. Uff, nochmals gut gegangen, da war kein Strom drauf , wie ich feststelle, als ich mich von meiner Selbstfesselung befreie.
Wie wird das heute Nacht sein, wenn man am Rückweg das Band nicht mehr so leicht sieht? Da muss ich wohl hier etwas aufpassen, damit ich nicht darüber stolpere.

Irgendwann befinde ich mich auf dem Originalweg der ursprünglich geplanten Strecke. In Serpentinen führt mich nun ein relativ leicht zu laufender Fahrweg immer mehr in die Höhe. Zwischendurch gibt es mal wieder eine Trinkstelle. Wie weit wird es noch bis zur Spitzmeilenhütte sein? Allzu nah kann sich noch nicht sein, weil ein Wanderschild 5 Stunden und 40 Minuten prophezeite. Aber die Karte sagt, dass sie "nur" 2080 Meter hoch liegt und mittlerweile habe ich ja schon wieder die 1500 Meter Grenze überschritten!

Sardona Ultratrail 2012

Hier durchquere ich einen beeindruckenden Tunnel

Daher bin ich der Meinung, dass ich im Augenblick ziemlich gut in der Zeit liege und es keimt so etwas wie Hoffung auf, dass ich nun doch noch zu meinem gemütlichen Genusslauf komme. Weniger genussvoll gehen es offensichtlich die zwei führenden Läufer an, die mir nun entgegenrasen. Immerhin für mich auch ein Zeichen, dass ich mich langsam aber sicher der magischen Spitzmeilenhütte nähere.

Einen beeindruckenden Tunnel hinter mich lassend, schlängelt sich der Fahrweg immer mehr ein schönes alpines Hochtal hinter. Plötzlich sehe ich einen hohen Kamm mit einer Scharte vor mir mit winzigen Punkten von Läufern, die mir auf einem schmalen Bergpfad entgegenkommen.
Was da soll ich hoch laufen?

Sardona Ultratrail 2012

Zu dieser Scharte muss ich hoch und dahinter geht es noch ein ganzes Stück weiter bergauf

Und keine Spitzmeilenhüttte weit und breit in Sicht? Jetzt muss ich doch mal auf die Karte gucken, wie das weiter geht. Der Blick auf die Karte ist ernüchternd. Nicht die Hütte mit 2080 Meter ist der höchste Punkt sondern ein Pass mit knapp 2300 Metern Höhe! Hinweg all die schönen Illusionen von einem gemütlichen Samstagnachmittagsspaziergang zur Spitzmeilenhütte.
Als ich endlich die Scharte erreiche, frage ich wie weit es denn noch bis zur Hütte sei. Ich erhalte als Antwort eine Viertelstunde. Wow, super! Selbst wenn es in Wirklichkeit noch eine halbe Stunde ist, dann liege ich auch noch super in der Zeit. Das beschwingt mich.

In der Tat, nach einer Viertelstunde erreiche ich eine Berghütte, aber es ist das Chammhütli und von der Spitzmeilenhütte ist weit und breit nichts zu sehen, stattdessen geht der Weg immer noch weiter bergauf.

Sardona Ultratrail 2012

Das Chammhütli und nicht die ersehnte Spitzmeilenhütte

Die Enttäuschung darüber schwindet aber schnell, als ich durch diese grandiose Landschaft hier in 2200 - 2300 Meter Hohe laufe, die aber mehr ans schottische Hochland als an hochalpine Regionen erinnert. Mittlerweile hat Bernd wieder aufgeschlossen. Er erzählt mir, dass er im Sommer praktisch jedes Wochenende so was macht. So war er erst letzte Woche beim UTMB, ist dort den brutalen TDS gelaufen und wurde nach gut 60 km rausgezogen und der heutige Lauf ist so was wie ein Trainingslauf für einen 111 km langen Lauf im Elsass am kommenden Samstag. ;-) Mann o Mann, in welchen Kreisen bewege ich mich denn hier?

Sardona Ultratrail 2012

Ultratrailläufer Bernd aus Hagen mit einem demolierten Stecken

Weitere Läufer laufen uns entgegen und bestätigen uns, dass die Spitzmeilenhütte immer näher kommt. Dabei entdecke ich auch meinen Facebookfreund Max, den ich so mal persönlich kennenlerne und der auch einen Bericht über diesen Lauf schreibt.
Nur Sven vermisse ich. Wo bleibt der denn?

Langer Rückweg in die Nacht

Das Rätsel löst sich bei der Spitzmeilenhütte auf, die wir eine gute Stunde vor der Zielschlusszeit erreichen. Er wartet bei der Hütte auf mich. Bernd, Sven und ich beschließen daher, dass wir zu dritt den Rückweg gemeinsam angehen wollen, zumal ich ja den Hinweg auf meinem Navi aufgezeichnet habe und wir uns so nicht mehr so leicht verlaufen können.

Sardona Ultratrail 2012

:-) Die Drei von der Tankstelle - Sven - Thomas - Bernd

Nach einer ausgiebigen Pause mit reichlich Verpflegung begeben wir uns auf den Rückweg. Wir haben uns soviel zu erzählen. Daher achten wir nicht auf den Weg. Als ich dann doch mal auf mein Navi gucke, sehe ich, dass wir zu weit nach rechts abgewichen sind. Aber mit Hilfe von Navi und einem Markierungsposten, den wir in der Ferne vor uns sehen, können wir den falschen Weg recht schnell korrigieren.
Nun gesellt sich außerdem ein Mann der Bergwacht zu uns und weist uns den richtigen Weg. Weil wir drei die letzten Läufer sind, werden wir ab nun vor Einbruch der Nacht und erst recht in der Nacht von der Bergwacht nicht mehr aus den Augen gelassen. Nie fühlte ich mich bei einer anderen Laufveranstaltung sicherer als hier. Die Bergwacht-Männer und Damen wechseln sich dabei von Streckenpunkt zu Streckenpunkt immer wieder ab. Das hat den Vorteil, dass ich dazu nicht nur mit ihnen angenehme Unterhaltungspartner, sondern auch abwechselnde Gesprächspartner bekomme.
Im Moment fasziniert aber ganz besonders das Lichtspiel der langsam untergehenden Sonne in dieser fantastischen Hochgebirgslandschaft, welches die UNESCO zurecht zum Weltkulturerbe erhoben hat.

Sardona Ultratrail 2012

Weltkulturerbelandschaft

Sardona Ultratrail 2012

Langsam geht die Sonne unter und kündigt die Nacht an

Wir laufen ja alles in entgegen gesetzter Richtung zurück. Was früher bergauf ging, geht nun bergab und umgekehrt. Wir erreichen wieder die Scharte und dahinter geht es sehr steil bergab. Dabei müssen wir drei auf jeden Tritt sehr achten, zumal sich nun nach so vielen Laufstunden auch schon etwas Müdigkeit breit macht.

Die virtuelle Marathonmarke überqueren wir schließlich in ca. 10 Stunden. Noch nie war ich auf der Marathondistanz solange unterwegs! Auch das spricht für die Schwere der Strecke, nicht nur was die zahlreichen Steigungen und Gefälle betrifft, sondern auch die technischen Schwierigkeiten.

Als wir den Fahrweg erreichen sind wir alle drei froh, weil es nun fast immer bergab geht, aber das ganze bei dem ebenen Untergrund leicht zu laufen ist. Eigentlich könnte man es jetzt "laufen lassen". So sehen es zumindest mein beiden Begleiter. Aber mich plagt mal wieder etwas mein altes Leiden nämlich das Asthma und die Fußsohlen tun mir wegen der am Anfang nicht raus genommenen Steine auch recht weh, speziell wenn ich schneller laufe. Daher lauf ich zwar, aber langsam, ein Schlussläufer nannte es mal beim Immenstädter Gebirgsmarathon zu meiner Verärgerung "Ergonomischer Walkingschritt", womit mich dann immer Dieter so gerne ärgerte. Na, Dieter ist diesmal nicht mit von der Partie und so gibt Sven sein bestes, indem er demonstrativ neben mir herwalkt!
Bernd schlägt vor, wir könnten ja ein Stück laufen und dann zwischendurch wieder gehen. Was soll das? Sieht Ihr beide nicht wie schön ich die ganze Zeit laufe?
Ich biete den beiden an, vorauszulaufen. Das wollen sie auch nicht. :-) Mache es mal allen recht!

Mittlerweile ist es dunkel geworden. Mein Stirnlampe ist eine Funzel. Daher lauf ich im Lichtkegel von Bernds Superlampe und schalte meine ganz aus:

Sardona Ultratrail 2012

Nachtlauf im Kegel der Stirnlampen

Als echter Naturbursch würde ich am liebsten ganz ohne Festbeleuchtung laufen, weil das einmal auf Asphalt gut geht und heute zwar Neumond, aber auch ein kristallklarer Sternenhimmel ist. Das ginge nach einiger Zeit sogar sehr gut, weil sich das Auge ja an die Dunkelheit gewöhnt. Bei der Ulmer Laufnacht z.B. habe ich das die längste Zeit so gemacht.

Endlich erreichen wir Weißtannen. Wir liegen nun etwa 1 1/2 Stunden unter der Zwischenzielschlusszeit. Ich rechne mit einer Endzeit bei mir um die 19 Stunden, wobei 21 Stunden erlaubt wären. Also dürfte ich irgendwo so zwischen 3 und 4 Uhr morgens im Ziel ankommen.

Wir fassen nun erst einmal reichlich Verpflegung und füllen unsere Wasserbehälter auf, weil nun noch etwa 17 km Laufstrecke und gut 1500 Höhenmeter aufwärts und rund 900 - 1000 Höhenmeter bergab vor uns liegen, wobei der Schlussanstieg mit knapp 1400 Höhenmeter am heftigsten ist.

Auf dem ersten Teilstück bis zum tiefsten Punkt der Strecke bis Müli und dann auch dahinter begleiten uns drei Männer von der Bergwacht. Sie passen auf uns auf und sammeln gleichzeitig gleich die dich recht schweren und sperrigen Markierungsstecken ein. Diese besitzen übrigens Reflektoren, die in der Nacht wunderbar im Licht der Stirnlampen reflektieren. Also gibt es hier nicht die Probleme wie bei den Markierungen des ersten Irontrails, die nicht richtig reflektierten.

Hinter dem tiefsten Punkt geht es wieder durch den nun auch noch finsteren Wald des Schreckens steil bergauf. Bernd und Sven haben es eiliger als ich. Außerdem habe ich  mit meinem Begleiter von der Bergwacht einen netten Gesprächspartner. In dem angenehmen Tempo, das wir beide wählen, verfliegt die Zeit im nun schreckenlosen Wald. Aber die extrem steile Wiese dahinter  hat es dann doch in sich. Sie fordert bei mir dann doch einige der letzten Kraftreserven heraus. Auf holprigem und weglosem Untergrund suchen mein "Bergführer" und ich die richtige Richtung nach oben. Dabei bewege ich mich in diesem schwierigen Gelände teilweise wie ein Betrunkener. Aber bei der Dunkelheit sieht das ja keiner!
Meine Stecken sind hier wieder sehr hilfreich. Ich wüsste nicht, was ich ohne sie gemacht hätte.

Endlich erreichen wir den Fahrweg. Weil der so gemütlich ist, nutzen wir ihn für einen schönen Abendspaziergang mit Unterhaltung. Ich weiß nicht mehr, was wir alles für Themen angeschnitten haben. Sicher ging es um Gott und die Welt, jedoch um alles andere als das Laufen. Wir beleuchten die Schweizer Basisdemokratie und vergleichen es mit unserem mindestens so holprigen System in Deutschland wie die es die Wiese zuvor war. Ich bin der Meinung, dass wir Deutschen auch mit Blick auf die Eurokrise etc. etc. einiges von den Schweizern lernen könnten. So vergeht jedenfalls die Zeit im Flug.

Schließlich erreichen wir einen weiteren Kontrollpunkt. Bernd und Sven haben hier ein letztes mal auf mich gewartet und sind schon ganz ausgefroren. Ein Mann von der Bergwacht bietet mir seine letzte Tasse Zitronentee an. Ich nehme gerne und dankend die Gabe an. Was mich besonders berührt, ist diese Kameradschaft und Freundschaft inmitten der Nacht. Ich glaube so was ist nur in den Bergen möglich, Auch die gute Laune dieser Leute von der Bergwacht bestaune ich, die das ja alle freiwillig ohne Bezahlung machen. Sie sind nun auch schon seit dem frühen Morgen auf den Beinen und müssen sich nun gerade auch wegen uns langsamen Läufern die Nacht um die Ohren schlagen. Aber keiner signalisiert hier auch nur mal kurz eine vorwurfsvolle Geste. Da kann und muss ich an dieser Stelle ein ganz besonders großes Lob an sie aussprechen!

Wie bei einer Staffel wechseln sich nun unsere Begleiter ab. Nun führt uns eine Dame weiter hoch, weil sie sich hier gut auskennt, was in diesem teilweise weglosen Gelände inmitten der Sternennacht  von großen Nutzen ist. Es ist Lysande oder Silande (o.ä.), in der französischsprachigen Schweiz groß geworden, wie man an ihren Akzent unverkennbar erkennt. Lysande erweist sich für mich als eine Bergführerin par excellence. Während die anderen beiden wieder voranstürmen, führt sie mich in einen ungemein konstanten Tempo nach oben. Wir machen dabei konstant 6 Höhenmeter pro Minute. Das ist nicht schnell, aber für mich nach all den Anstrengungen zuvor vollkommen ausreichend. Mehr wäre sicher auch nicht gut für mich.

Als wir auf einem Brett einen Sumpf queren warnt mich Lysande: "Pass auf! Der Balken ist glatt und gefroren!" Ja, mittlerweile ist es bitterkalt und frostig geworden und ich habe trotz des steilen Anstiegs bereits alles angezogen, was ich dabei habe, einschließlich Mütze und Handschuhe.

Sardona Ultratrail 2012

Die Bergwacht in der Nacht

Hinter der sumpfigen, weglosen und dennoch steilen nicht enden wollenden Bergwiese erreichen wir endlich die Passhöhe. Ich schalte meine Stirnlampe aus und betrachte begeistert den Sternenhimmel. Selten sah ich so einen schönen Himmel. Ich sehe unsere MiIchstraße und ihre Sternenbilder  und dazu noch viele anderen Galaxien wunderschön in dieser kristallklaren Nacht. Fast 2000 Höhenmeter unter uns dazu das Lichtermeer der Städte im Rheintal. Das sind so Augenblicke, die sich in mein Gedächtnis einprägen und die Gefahr eines gewissen Suchtpotentials für solche Ultratrails bergen.

Ich verabschiede und bedanke mich bei Lysande und werden nun von sogar drei Männern der Bergwacht ins Tal geleitet. Sie haben dabei sehr mit den schweren Markierungsstecken zu kämpfen, die sie nebenbei mit einsammeln. Ich hebe mal zum Test einen dieser Stecken auf. Der wiegt mindestens ein Kilo, wenn es ausreicht und jeder von ihnen trägt jetzt schon an die 20 dieser sperrigen und unhandlichen Stecken auf dem Rücken!

Der Weg zieht sich noch einmal in die Länge, aber endlich erreiche auch ich als letzter Teilnehmer nach 18 Stunden und 53 Minuten Laufspaß das Ziel.

Sardona Ultratrail 2012

Im Ziel

Schnell noch ein Foto und dann kann das Empfangskomitee endlich Feierabend machen. Leider bekomme ich nichts mehr zu trinken, obwohl ich ausgedürstet bin und um ein Getränk bitte. ;-) Das ist halt das altbekannte Leid der letzten Läufer, dass es im Ziel oft nichts mehr gibt!
Aber das Restaurant hat heute wegen der Veranstaltung noch extra offen und da kauf ich mir dann für 5 Franken einen halben Liter Cola, bevor ich mich mit Bernd, Sven und noch einem Läufer mit dem eingerichteten Nachtshuttle gen Tal fahren lass.

Ja, dieser Lauf war für mich ein tolles Lauferlebnis, auch wenn es "nur" die Ausweichstrecke war. 2013 will ich mich dann mal an die Originalstrecke wagen und die Veranstalter dürfen sicher viele weitere Wiederholungstäter und viele neue Läufer erwarten, weil so eine gelungene Laufveranstaltung spricht sich in Läuferkreisen sicher herum!

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