Einleitung
Die Tektonikarena Sardona rund um dem etwas über 3000
m hohen Piz Sardona
wurde im Juli 2008 von der UNESCO zusammen mit einem 32'850 Hektar
großen Gebiet in das Weltnaturerbe aufgenommen. Weil man sich einen
großen Teil der Schönheiten dieser Hochgebirgslandschaft nur erwandern
oder erlaufen kann, wurde dazu der Sardona Welterbeweg eingerichtet.
Ein paar Schweizer Bergläufer um Umberto Michelucci waren von dieser
grandiosen Hochgebirgslandschaft rund um diesen Wanderweg so begeistert,
dass sie dort einen neuen Ultratrail quasi von Läufern für Läufer ins
Leben rufen wollten. Als Strecke wählten sie dabei einen sehr
anspruchsvollen Rundkurs von 86 km und über +- 6500 Höhenmetern.
Leider spielte dann die Tage zuvor das Wetter nicht mit. Es schneite bis
auf 1500 Meter Höher herunter und bei den Höhen über 2500 Meter waren
über 50 cm Neuschnee angesagt, so dass in den Hochlagen über 2800 Meter
Höhe sogar Lawinengefahr herrschte. Das Wetter besserte sich dann
zwar bis zum Lauftag wieder. Dennoch lag immer noch in Höhen über 2000
Meter Schnee und ab etwa 2400 Meter wurde es problematisch.
Da dem OK - Team in enger Abstimmung mit der Bergwacht die
hohen Pässe der Originalroute zu riskant waren, erarbeiteten sie
kurzfristig eine Ausweichroute als Wendestrecke von etwa 70 km Länge mit
immer noch knapp +- 5000 Höhenmetern. Die zwei höchsten Pässe lagen
dabei immer
noch auf jeweils etwa 2300 Meter Höhe. Auch blieben die Wege weitgehend "trailig"
und die Landschaft rund um die Laufstrecke war weiterhin sehr schön.
Start und Besteigung des Garmil
Das ist die Ausgangslage, als sich am Samstag Morgen
gut 80 Läufer in der gut 1500 Meter hochgelegenen Bahnstation in Furt
treffen. In einem Restaurant nebenan wärme ich mich erst einmal auf,
weil es draußen immer noch sehr frisch ist. Wer will, kann hier auch
noch sein Frühstück nachholen. Dabei treffe ich einige Bekannte wie die
"Trail-Maniaks" Verena und Stephanie vom
Wörthersee Ultra ,
Daniel der für marathon4you heute berichtet und Sven mit dem ich schon
zusammen die Seilbahn hier hochfuhr und der heute für die
Team Bittel Seite berichtet.
Wenige Minuten vor dem Start begeben wir uns zum
Startplatz, wo noch unsere Pflichtausrüstung überprüft wird. Im Gegensatz zum
Irontrail, der sogar Sonnenbrille und Sonnencreme u.ä. eher weniger
überlebenswichtige Dinge verlangte, müssen wir hier nur die wirklich
wichtigen Dinge vorweisen. So geht die Kontrolle relativ schnell über
die Bühne und beweist auch, dass eine Kontrolle direkt vor dem Start
möglich ist und nicht bei der Startnummernausgabe erfolgen muss, wo sie
ohnehin wenig Sinn hat, weil dann immer einige "Schlaumeier" beim Start mit
weniger "Ballast" erscheinen.
Weil wegen der Kälte sich einige, mich
eingeschlossen, etwas zu spät zur Kontrolle eingefunden haben, muss der
Start um 5 Minuten verschoben werden, was aber sicher für alle
verkraftbar ist und bei der Länge der heutigen Strecke wohl auch nicht
zu sehr den Zeitplan durcheinander bringt.
Als aber dann der Startschuss fällt, meinen
anscheinend doch einige, dass sie die 5 Minuten auf dem ersten Kilometer
wieder gut machen müssen und rennen wie bei einem 100 Meter Sprint los,
so dass ich schon als Letzter die Startlinie überquere. Na so, habe ich
mich wenigstens schon mal richtig einsortiert!
Der Start
Der erste Kilometer geht erst einmal auf bereits
trailigem Weg bergab. So komme auch ich etwas in Schwung. Beim
ersten Anstieg hole ich einen Läufer ein, der sich gerade umzieht. Ich
sage: "Gute Idee!" und bleib auch stehen und lege die nun überflüssigen
Klamotten ab und ziehe die lange Hose aus, worunter schon meine Shorts
angezogen sind. So geht dann das ganze etwas schneller.
Mit nun deutlich schwereren Rucksack gehe ich so den ersten Anstieg an.
Dabei überhole ich zwei Wanderer. Wenn ich schon keine Läufer des
Sardonas überholen kann dann doch wenigstens die fitten Wanderer! Sven,
der noch netterweise auf mich gewartet hat, sagt zu mir: "Also, wenn die
beiden Dich wieder überholen, solltest Du einen Zahn zulegen, damit Du
das ganze innerhalb der Zielschlusszeit noch schaffst!" Diesen schönen Ratschlag mir mit
auf dem Weg gegeben, lässt er mich Laufschnecke links stehen und zieht
von dannen.
Der Trail schraubt sich nun steil den gut 2000 Meter
hohen Garmil hoch. In der Ferne, schon in der Nähe des Himmels, sehe ich
die letzten Läufer vor mir. Nun bin ich ganz allein, nur die zwei
Wanderer hängen mir penetrant im Nacken. Die Höhenluft macht mir zu
schaffen. Ich habe mich diesmal nicht akklimatisiert, Das rächt sich nun
und irgendwie finde ich heute morgen nach einer kalten Nacht im Zelt nicht so recht meinen Rhythmus. Aber der Blick
auf meine Laufuhr beruhigt mich. In der letzten Minute habe ich 13
Höhenmeter geschafft und so in etwa geht es weiter. Alles was da sich im zweistelligen Bereich
bewegt, ist für mich ok. Eigentlich kann ich doch sogar etwas Tempo
rausnehmen. Ist doch egal, wenn mich die Wanderer überholen! Das muss
mein Ego verkraften und vergiss Svens dummen Spruch! Entscheidend ist,
dass Du Dein eigenes Tempo findest!
Also lass ich die beiden Wanderer an mir vorbeiziehen! Die wollen heute
auch sicher nicht 70 km laufen bzw. wandern!
Bald erreiche auch ich nach den ersten 500
Höhenmetern der Strecke das Gipfelkreuz des Garmils, wo sich die beiden
Wanderer schon eine Pause gönnen. Aha, habt Ihr Euch doch etwas
verausgabt! Mein Ego freut sich und fröhlich laufe ich nun einen
wunderschönen schmalen Pfad durch eine grandiose Hochgebirgslandschaft
leicht bergab. So gefällt mir das doch schon wieder viel besser!
Langer Weg nach Weisstannen
Nach gut 6 km Laufstrecke erreiche ich in Gaffia in
1867 m Höhe den ersten Verpflegungspunkt. Ein Blick auf die Uhr zeigt
zwar, dass ich mich noch im Zeitrahmen bewege, aber es doch mit der
ersten Zielschlusszeit in Weisstannen nach 17 km Laufstrecke knapp
werden könnte, denn nun liegt erst einmal ein weiterer heftiger Anstieg
von etwa 500 - 600 Höhenmetern vor mir.
Ein Singletrail schraubt sich nun die Himmelsgipfel rund um die
Gamidauspitz endlos in die Höhe. Dabei überhole ich endlich mal eine
Wandergruppe, die sich hier deutlich mühevoller hoch kämpft als ich es
tue.
Schließlich erreiche ich mittlerweile im Bergnebel
die Passregion. Dabei denke ich mir, dass ich da heute Nacht noch einmal
vorbei kommen werde, aber dann in die andere Richtung. Aber schon lenkt
mich ein wunderschönes kleiner See in dieser wegen dem Nebel leicht
gespenstischen Bergwelt ab.
Nach einem weiteren Anstieg von gut 100 Höhenmetern
erreiche ich die Passhöhe, wo mich ein netter Mann von der Bergwacht
fotografiert:
Auf der Passhöhe am Gamidauspitz in ca. 2300 Meter Höhe
Hier oben liegt noch Schnee und es ist bitterkalt.
Daher halte ich mich nicht allzu lange auf und laufe nun gen Tal.
Aber wo ist denn hier der Weg? Unsere Strecke führt nun auf einer sehr
holprigen Bergwiese immer steiler bergab. Nur ein paar Holzstecken
markieren unseren Weg. Aber irgendwann sind auch die nicht mehr zu
sehen.
Bin ich noch richtig? Vor mir auch keine Läufer, an die ich mich
orientieren könnte, obwohl man hier weit schauen kann. Ganz alleine
verlassen in einer grandiosen Bergwelt fühle ich mich vergessen und
verloren. Wie gut, dass ich wie immer bei so was mein
Garmin Dakota 20 Navigationsgerät mit Kartenmaterial dabei habe. So
weiß ich gleich wo ich bin. Oha, da bin ich viel zu weit links
abgekommen! Während ich gespannt auf mein Navi gucke, versinke ich mit
dem linken Fuß in einem tiefen Schlammloch.
Auch das noch! Meine
schönen neuen Schuhe sind nun schlammgebadet, während die braune
Soße auch noch über den Schuhrand in Richtung Strumpf und Innenschuh
rein läuft. Oh je, das hat ja auch noch Blasenpotential und das gerade
mal nach 10 km Laufstrecke! Ich versuche mit meinen Fingern des
Schlammfluss in Richtung Schuhinneres zu stoppen und bereits
eingedrungenen Morast wieder raus zu befördern. Wie dumm, dass ich keine
Ersatzstrümpfe mitgenommen habe!
Diese Wiese ist ja mit bodenlosen Schlammlöchern nur
so gespickt und dabei muss ich auch noch wieder den ohnehin nicht
vorhandenen Weg finden. Oh, da rechts unten irrt ja auch ein anderer
Läufer herum. Da unten ist ja eine Hütte und so was wie ein Weg. Da will
ich nun auch erst einmal hin und dann sehe ich weiter.
Ich erreiche endlich an Schlämmlöchern
vorbeijonglierend die Hütte. Der andere Läufer ist nun noch weiter nach
rechts abgewichen. Ob das richtig ist? Nein! Direkt geradeaus unter mir
ist ja wieder einer dieser Stecken, der unsere Strecke markiert. Ich
winke dem anderen Läufer zu, hier musst Du runter! Er pfeift zurück.
Nein, du musst zu mir rauf. Bei ihm flattern ein paar Bänder! Was ist
nun richtig der offizielle Stecken oder die Bänder? Ich entscheide mich
für den Stecken. Der Stecken ist Trumpf! Als ich einen zweiten noch
weiter unten entdecke, winke ich noch einmal den anderen Läufer zu und
er sieht ein, dass er und nicht ich auf dem Hohlweg ist.
Ab nun wird der Weg immer besser. Es ist zwar immer
noch ein Singletrail, aber ein dennoch schon ein recht passabler
Wanderweg, Ich befinde mich immer noch in etwa 2000 Meter Höhe und weil
wir in Richtung tiefsten Punkt der Strecke in 908 Meter Höhe laufen,
weiß ich dass es noch weit bergab gehen muss. Ein Blick auf die Uhr
zeigt, dass ich viel Zeit verloren habe und nun nur noch eine gute
Stunde Zeit bis zum Zwischenzeitcheck in Weisstannen habe. Gut 1000
Höhenmeter bergab und dann noch mal ein Gegenanstieg auf dem Weg nach
Weisstannen, das wird sehr knapp werden! Ich muss nun verdammt viel Gas
geben. Das wird eine Hatz werden, so wie ich es als Genussläufer gar
nicht mag. Aber was soll ich viel jammern? Da muss ich jetzt durch und
beschleunige mein bislang moderates Lauftempo.
Bald erreiche ich einen Fahrweg. Das kommt mir für
ein Renntempo entgegen. Ich renne nun fast volle Kanne, was bei mir wohl
so ca. 12 km/h sind. Dabei fange ich mir immer wieder kleine Steine in
den Schuhen ein. Aus Zeitmangel entferne ich nur die schlimmsten davon.
Die dadurch bedingten Schmerzen an der rechten Fußsohle werden mich dann
den ganzen Rest des Laufes begleiten und mir später auf den
Bergabpassagen speziell auf den asphaltierten Fahrwegen einiges an Zeit
kosten. Aber all das spielt nun keine Rolle, weil das Damoklesschwert
der 4 Stunden Zielschlusszeit in Weisstannen über mir hängt.
Auf dem Fahrweg komme ich schnell voran, verliere aber wenig Höhenmeter,
weil es nicht allzu steil runtergeht. Meist liege ich bei so knapp 20
Höhenmeter pro Minute bergab. Wenn ich das dann so hochrechne, reicht
das nicht aus um rechtzeitig im Tal zu sein, Auch kann die
Streckenangabe von 17 km nie und nimmer stimmen, das müssen viel mehr
Kilometer sein!
Des Rätsel Lösung folgt zugleich. Plötzlich biegen
wir vom Fahrweg ab, Nun geht es mal wieder eine sehr steile und
natürlich auch matschige Wiese auf weglosem Gelände bergab. Obwohl die
sehr holprig ist, verliere ich da auch mal prompt 25 und mehr Höhenmeter
pro Minute. Jetzt bin ich zwar deutlich langsamer in horizontaler
Richtung, aber in vertikaler Richtung kann ich nun ordentlich zulegen.
Schließlich verschwindet ein schmaler Pfad im Wald.
Stellenweise ist das eine regelrechte Schlammbahn dazu mit bodenlosen
Schlammlöchern zwischendurch gespickt. Als momentan vorletzter Läufer
komme ich auf diesen wegen der Vorgänger, die ihn schon besonders
liebevoll ausgetreten haben, in den Genuss einer besonders schönen
Rutschbahn, welche wirklich die Gleitfähigkeit von Schmierseife hat. Da
retten mich nur noch meine Stecken. Ohne sie wäre ich schier
verzweifelt. Aber spätestens seit dem
Mountain Man 2010 habe ich
gelernt, dass man so was am besten mit Stecken läuft.
Wenig vertrauensvolle Brücke im Schlammwald
Ein komisches Gefühl an der linken großen Zehe
schreckt mich auf. Oh je, mein linker Strumpf löst sich in seine
Bestandteile auf! Ob das Blasen gibt?
Momentan habe ich aber mehr mit dem Problem der 4-stündigen
Zwischenzielschlusszeit zu kämpfen. Im Augenblick kann ich mich nicht
auch noch mit dieser Sorge befassen!
Endlich verlass ich den Wald des Schreckens mit als seinen Sumpflöchern
und überquere die Seex bei Müli, welche mit 908 Metern den tiefsten
Punkt unsere Strecke markiert. Wie weit wird es noch bis Weistannen
sein?
Fatalistisch betrachte ich nun den giftigen Gegenanstieg in Richtung
Weisstannen. Man könnte hier ja auch bequem die leicht ansteigende
Landstraße in Richtung Weisstannen laufen, aber nein stattdessen führt
ein steiler Pfad den Hang hier hoch!
Das wird wohl mit den 4 Stunden nicht klappen. Also, wenn die mich da
rausnehmen, endet mein Bericht schon hier!
Frustriert nehme ich Tempo raus und lass den Läufer hinter mir
aufschließen. Es ist Bernd aus Hagen. zwar mit intakten Strümpfen, aber
dafür mit einem abgebrochenen Stecken. So hat jeder mit seinen eigenen
Handicaps zu kämpfen. Wir werden ab nun eine ganze Zeit mal gemeinsam
und dann wieder mit etwas Abstand voneinander weiterlaufen.
Ich sage: "Umberto erklärte mir gestern, dass das mit den
Zwischenzielschlusszeiten nicht ganz so streng gehandhabt wird. Aber wer
weiß?" Zwischen einem Hauch von Hoffnung und Skepsis schwankend
erreichen wir eine nicht markierte Wegkreuzung. Wie geht es weiter?
Rätselraten. Wieder rettet mich mein Blick aufs Navi. Hätten wir auf die
Wanderkarte geblickt, die jeder von uns bekommen hat und mitführen muss,
hätten wir es aber auch erkennen müssen. Aber der Mensch wird bequem und
verlässt sich lieber auf moderne Technik und schaltet so auch mal das
Denken aus! Aber für viel Nachdenken haben wir momentan ohnehin keine
Zeit!
Endlich erreichen wir beide Weisstannen. Wir liegen
schon über 10 Minuten in der Zeit. Aber links stehen ein paar so lustige
Ziegen herum. Die muss ich noch fotografieren. So viel Zeit muss sein!
Ziegen in Weisstannen. Jetzt fehlen im Heidiland nur noch Heidi und der
Geißenpeter!
Bernd schaut auf sein GPS - Gerät. Statt der
angeblichen 17 km waren es 20 km (in Wirklichkeit wohl dann noch mehr)
und das mit wohl über 1300 Höhenmetern rauf und auch einigen bergab.
Wenn wir da nach vier Stunden rausgezogen werden, dann ist das ja
strenger als beim Mountain Man. Ich wollte ja nicht mehr bei so was
mitlaufen, wo ich mich hetzen muss.
Aber die Sorge war nicht berechtigt, wir werden zwar belehrt, dass wir
etwas über der Zeit liegen, aber weil es ja alles so matschig, alles
nicht immer optimal markiert und alles auch so schwer war, dürfen wir
weiter laufen, wenn wir uns gut fühlen! Sofort bestätigen wir, wie
toll wir uns nun fühlen!
Bernd und ich genießen die reichliche Verpflegung,
die keine Wünsche übrig lässt und ich kann endlich mal die Steine aus
meinen Schuhen entfernen und tausche einfach den linken mit dem rechten
Socken, obwohl diese mit links und recht markiert sind. Aber so stört
das Loch bei der großen Zehen nicht mehr. Leider haben sich bei dem
einen Problemsocken auch noch Löcher unten gebildet, wo mir die Fußsohle
wegen der Steine zuvor ohnehin schon weh tut. Ich schimpfe über diese
Laufsocken, die ich erst zum 3. oder 4. mal anhabe und ziehe dann von
dannen.
Auf dem Weg zur Spitzmeilenhütte bis zur Wende
Wären wir rechtzeitig in Weisstannen angekommen,
hätten wir bis zur Wende bei der Spitzmeilenhütte 6 Stunden Zeit gehabt.
Weil wir nun aber mit der Rast eine weitere halbe Stunde verloren haben,
haben wir nur noch 5 1/2 Stunden Zeit. Mal schaun, ob das für uns
machbar ist.
Wir laufen nun zuerst auf einer leicht ansteigenden
Landstraße. Ich hasse zwar Asphalt, aber nun bin ich ausnahmsweise
darüber mal nicht so unglücklich. "Du Bernd, da rechts sind Bändchen,
ich glaub da müssen wir weiter!" Aber weitere Bändchen versperren den
Weg. Was ist nun richtig?
Bernd bewahrt diesmal mich vor dem falschen Weg. Er entdeckt eine
Markierung gerade aus vor uns. Also es geht geradeaus und nicht rechts
weiter. Das ist alles heute schon etwas verwirrend!
Der Weg geht nun in einen Fahrweg über, stets mehr
oder weniger bergauf ist aber gut zu laufen. Ich trabe gemütlich in
meinem Ultraschlappschritt und lass dabei Bernd etwas hinter mir.
Plötzlich versperrt ein Stromband als Einzäunung den Weg. Das hat eine
blöde Höhe. Zum Überqueren ist es etwas zu hoch und zum Durchschlüpfen
etwas zu niedrig. Ob da Strom drauf ist? Ich entschließe mich fürs
Durchkriechen und bleibe prompt mit meinem Rucksack hängen. Uff,
nochmals gut gegangen, da war kein Strom drauf , wie ich feststelle, als
ich mich von meiner Selbstfesselung befreie.
Wie wird das heute Nacht sein, wenn man am Rückweg das Band nicht mehr
so leicht sieht? Da muss ich wohl hier etwas aufpassen, damit ich nicht
darüber stolpere.
Irgendwann befinde ich mich auf dem Originalweg der
ursprünglich geplanten Strecke. In Serpentinen führt mich nun ein
relativ leicht zu laufender Fahrweg immer mehr in die Höhe.
Zwischendurch gibt es mal wieder eine Trinkstelle. Wie weit wird es noch
bis zur Spitzmeilenhütte sein? Allzu nah kann sich noch nicht sein, weil
ein Wanderschild 5 Stunden und 40 Minuten prophezeite. Aber die Karte
sagt, dass sie "nur" 2080 Meter hoch liegt und mittlerweile habe ich ja
schon wieder die 1500 Meter Grenze überschritten!
Hier durchquere ich einen beeindruckenden Tunnel
Daher bin ich der Meinung, dass ich im Augenblick
ziemlich gut in der Zeit liege und es keimt so etwas wie Hoffung auf,
dass ich nun doch noch zu meinem gemütlichen Genusslauf komme. Weniger
genussvoll gehen es offensichtlich die zwei führenden Läufer an, die mir
nun entgegenrasen. Immerhin für mich auch ein Zeichen, dass ich mich
langsam aber sicher der magischen Spitzmeilenhütte nähere.
Einen beeindruckenden Tunnel hinter mich lassend,
schlängelt sich der Fahrweg immer mehr ein schönes alpines Hochtal
hinter. Plötzlich sehe ich einen hohen Kamm mit einer Scharte vor mir
mit winzigen Punkten von Läufern, die mir auf einem schmalen Bergpfad
entgegenkommen.
Was da soll ich hoch laufen?
Zu dieser Scharte muss ich hoch und dahinter geht es noch ein ganzes Stück
weiter bergauf
Und keine Spitzmeilenhüttte weit und breit in Sicht?
Jetzt muss ich doch mal auf die Karte gucken, wie das weiter geht. Der
Blick auf die Karte ist ernüchternd. Nicht die Hütte mit 2080 Meter ist
der höchste Punkt sondern ein Pass mit knapp 2300 Metern Höhe! Hinweg
all die schönen Illusionen von einem gemütlichen
Samstagnachmittagsspaziergang zur Spitzmeilenhütte.
Als ich endlich die Scharte erreiche, frage ich wie weit es denn noch
bis zur Hütte sei. Ich erhalte als Antwort eine Viertelstunde. Wow,
super! Selbst wenn es in Wirklichkeit noch eine halbe Stunde ist, dann
liege ich auch noch super in der Zeit. Das beschwingt mich.
In der Tat, nach einer Viertelstunde erreiche ich
eine Berghütte, aber es ist das Chammhütli und von der Spitzmeilenhütte
ist weit und breit nichts zu sehen, stattdessen geht der Weg immer noch
weiter bergauf.
Das Chammhütli und nicht die ersehnte Spitzmeilenhütte
Die Enttäuschung darüber schwindet aber schnell, als
ich durch diese grandiose Landschaft hier in 2200 - 2300 Meter Hohe
laufe, die aber mehr ans schottische Hochland als an hochalpine Regionen
erinnert. Mittlerweile hat Bernd wieder aufgeschlossen. Er erzählt mir,
dass er im Sommer praktisch jedes Wochenende so was macht. So war er
erst letzte Woche beim UTMB, ist dort den
brutalen TDS gelaufen und wurde nach gut 60 km rausgezogen und der
heutige Lauf ist so was wie ein Trainingslauf für einen 111 km langen
Lauf im Elsass am kommenden Samstag. ;-) Mann o Mann, in welchen Kreisen
bewege ich mich denn hier?
Ultratrailläufer Bernd aus Hagen mit einem demolierten Stecken
Weitere Läufer laufen uns entgegen und bestätigen
uns, dass die Spitzmeilenhütte immer näher kommt. Dabei entdecke ich
auch meinen Facebookfreund Max, den ich so mal persönlich kennenlerne und
der auch einen
Bericht
über diesen Lauf schreibt.
Nur Sven vermisse ich. Wo bleibt der denn?
Langer Rückweg in die Nacht
Das Rätsel löst sich bei der Spitzmeilenhütte auf,
die wir eine gute Stunde vor der Zielschlusszeit erreichen. Er wartet
bei der Hütte auf mich. Bernd, Sven und ich beschließen daher, dass wir
zu dritt den Rückweg gemeinsam angehen wollen, zumal ich ja den Hinweg
auf meinem Navi aufgezeichnet habe und wir uns so nicht mehr so leicht
verlaufen können.
:-) Die Drei von der Tankstelle - Sven - Thomas - Bernd
Nach einer ausgiebigen Pause mit reichlich
Verpflegung begeben wir uns auf den Rückweg. Wir haben uns soviel zu
erzählen. Daher achten wir nicht auf den Weg. Als ich dann doch mal auf
mein Navi gucke, sehe ich, dass wir zu weit nach rechts abgewichen sind.
Aber mit Hilfe von Navi und einem Markierungsposten, den wir in der
Ferne vor uns sehen, können wir den falschen Weg recht schnell
korrigieren.
Nun gesellt sich außerdem ein Mann der Bergwacht zu uns und weist uns
den richtigen Weg. Weil wir drei die letzten Läufer sind, werden wir ab
nun vor Einbruch der Nacht und erst recht in der Nacht von der Bergwacht
nicht mehr aus den Augen gelassen. Nie fühlte ich mich bei einer anderen
Laufveranstaltung sicherer als hier. Die Bergwacht-Männer und Damen
wechseln sich dabei von Streckenpunkt zu Streckenpunkt immer wieder ab.
Das hat den Vorteil, dass ich dazu nicht nur mit ihnen angenehme
Unterhaltungspartner, sondern auch abwechselnde Gesprächspartner
bekomme.
Im Moment fasziniert aber ganz besonders das Lichtspiel der langsam
untergehenden Sonne in dieser fantastischen Hochgebirgslandschaft,
welches die UNESCO zurecht zum Weltkulturerbe erhoben hat.
Weltkulturerbelandschaft
Langsam geht die Sonne unter und kündigt die Nacht an
Wir laufen ja alles in entgegen gesetzter Richtung
zurück. Was früher bergauf ging, geht nun bergab und umgekehrt. Wir
erreichen wieder die Scharte und dahinter geht es sehr steil bergab.
Dabei müssen wir drei auf jeden Tritt sehr achten, zumal sich nun nach
so vielen Laufstunden auch schon etwas Müdigkeit breit macht.
Die virtuelle Marathonmarke überqueren wir
schließlich in ca. 10 Stunden. Noch nie war ich auf der Marathondistanz
solange unterwegs! Auch das spricht für die Schwere der Strecke, nicht
nur was die zahlreichen Steigungen und Gefälle betrifft, sondern auch
die technischen Schwierigkeiten.
Als wir den Fahrweg erreichen sind wir alle drei
froh, weil es nun fast immer bergab geht, aber das ganze bei dem ebenen
Untergrund leicht zu laufen ist. Eigentlich könnte man es jetzt "laufen
lassen". So sehen es zumindest mein beiden Begleiter. Aber mich plagt
mal wieder etwas mein altes Leiden nämlich das Asthma und die Fußsohlen
tun mir wegen der am Anfang nicht raus genommenen Steine auch recht weh,
speziell wenn ich schneller laufe. Daher lauf ich zwar, aber langsam,
ein Schlussläufer nannte es mal beim
Immenstädter Gebirgsmarathon zu meiner Verärgerung "Ergonomischer
Walkingschritt", womit mich dann immer Dieter so gerne ärgerte. Na,
Dieter ist diesmal nicht mit von der Partie und so gibt Sven sein
bestes, indem er demonstrativ neben mir herwalkt!
Bernd schlägt vor, wir könnten ja ein Stück laufen und dann
zwischendurch wieder gehen. Was soll das? Sieht Ihr beide nicht wie
schön ich die ganze Zeit laufe?
Ich biete den beiden an, vorauszulaufen. Das wollen sie auch nicht. :-)
Mache es mal allen recht!
Mittlerweile ist es dunkel geworden. Mein Stirnlampe
ist eine Funzel. Daher lauf ich im Lichtkegel von Bernds Superlampe und
schalte meine ganz aus:
Nachtlauf im Kegel der Stirnlampen
Als echter Naturbursch würde ich am liebsten ganz
ohne Festbeleuchtung laufen, weil das einmal auf Asphalt gut geht und
heute zwar Neumond, aber auch ein kristallklarer Sternenhimmel ist. Das
ginge nach einiger Zeit sogar sehr gut, weil sich das Auge ja an die
Dunkelheit gewöhnt. Bei der
Ulmer Laufnacht z.B. habe ich das die längste Zeit so gemacht.
Endlich erreichen wir Weißtannen. Wir liegen nun etwa
1 1/2 Stunden unter der Zwischenzielschlusszeit. Ich rechne mit einer
Endzeit bei mir um die 19 Stunden, wobei 21 Stunden erlaubt wären. Also
dürfte ich irgendwo so zwischen 3 und 4 Uhr morgens im Ziel ankommen.
Wir fassen nun erst einmal reichlich Verpflegung und
füllen unsere Wasserbehälter auf, weil nun noch etwa 17 km Laufstrecke
und gut 1500 Höhenmeter aufwärts und rund 900 - 1000 Höhenmeter bergab
vor uns liegen, wobei der Schlussanstieg mit knapp 1400 Höhenmeter am
heftigsten ist.
Auf dem ersten Teilstück bis zum tiefsten Punkt der
Strecke bis Müli und dann auch dahinter begleiten uns drei Männer von
der Bergwacht. Sie passen auf uns auf und sammeln gleichzeitig gleich
die dich recht schweren und sperrigen Markierungsstecken ein. Diese
besitzen übrigens Reflektoren, die in der Nacht wunderbar im Licht der
Stirnlampen reflektieren. Also gibt es hier nicht die Probleme wie bei
den Markierungen des ersten Irontrails, die nicht richtig reflektierten.
Hinter dem tiefsten Punkt geht es wieder durch den
nun auch noch finsteren Wald des Schreckens steil bergauf. Bernd und
Sven haben es eiliger als ich. Außerdem habe ich mit meinem
Begleiter von der Bergwacht einen netten Gesprächspartner. In dem
angenehmen Tempo, das wir beide wählen, verfliegt die Zeit im nun
schreckenlosen Wald. Aber die extrem steile Wiese dahinter hat es
dann doch in sich. Sie fordert bei mir dann doch einige der letzten
Kraftreserven heraus. Auf holprigem und weglosem Untergrund suchen mein
"Bergführer" und ich die richtige Richtung nach oben. Dabei bewege ich
mich in diesem schwierigen Gelände teilweise wie ein Betrunkener. Aber
bei der Dunkelheit sieht das ja keiner!
Meine Stecken sind hier wieder sehr hilfreich. Ich wüsste nicht, was ich
ohne sie gemacht hätte.
Endlich erreichen wir den Fahrweg. Weil der so
gemütlich ist, nutzen wir ihn für einen schönen Abendspaziergang mit
Unterhaltung. Ich weiß nicht mehr, was wir alles für Themen
angeschnitten haben. Sicher ging es um Gott und die Welt, jedoch um
alles andere als das Laufen. Wir beleuchten die Schweizer
Basisdemokratie und vergleichen es mit unserem mindestens so holprigen
System in Deutschland wie die es die Wiese zuvor war. Ich bin der
Meinung, dass wir Deutschen auch mit Blick auf die Eurokrise etc. etc.
einiges von den Schweizern lernen könnten. So vergeht jedenfalls die
Zeit im Flug.
Schließlich erreichen wir einen weiteren
Kontrollpunkt. Bernd und Sven haben hier ein letztes mal auf mich
gewartet und sind schon ganz ausgefroren. Ein Mann von der Bergwacht
bietet mir seine letzte Tasse Zitronentee an. Ich nehme gerne und
dankend die Gabe an. Was mich besonders berührt, ist diese Kameradschaft
und Freundschaft inmitten der Nacht. Ich glaube so was ist nur in den
Bergen möglich, Auch die gute Laune dieser Leute von der Bergwacht
bestaune ich, die das ja alle freiwillig ohne Bezahlung machen. Sie sind
nun auch schon seit dem frühen Morgen auf den Beinen und müssen sich nun
gerade auch wegen uns langsamen Läufern die Nacht um die Ohren schlagen.
Aber keiner signalisiert hier auch nur mal kurz eine vorwurfsvolle
Geste. Da kann und muss ich an dieser Stelle ein ganz besonders großes
Lob an sie aussprechen!
Wie bei einer Staffel wechseln sich nun unsere
Begleiter ab. Nun führt uns eine Dame weiter hoch, weil sie sich hier
gut auskennt, was in diesem teilweise weglosen Gelände inmitten der
Sternennacht von großen Nutzen ist. Es ist Lysande oder Silande (o.ä.),
in der französischsprachigen Schweiz groß geworden, wie man an ihren
Akzent unverkennbar erkennt. Lysande erweist sich für mich als eine
Bergführerin par excellence. Während die anderen beiden wieder
voranstürmen, führt sie mich in einen ungemein konstanten Tempo nach
oben. Wir machen dabei konstant 6 Höhenmeter pro Minute. Das ist nicht
schnell, aber für mich nach all den Anstrengungen zuvor vollkommen
ausreichend. Mehr wäre sicher auch nicht gut für mich.
Als wir auf einem Brett einen Sumpf queren warnt mich
Lysande: "Pass auf! Der Balken ist glatt und gefroren!" Ja, mittlerweile
ist es bitterkalt und frostig geworden und ich habe trotz des steilen
Anstiegs bereits alles angezogen, was ich dabei habe, einschließlich
Mütze und Handschuhe.
Die Bergwacht in der Nacht
Hinter der sumpfigen, weglosen und dennoch steilen
nicht enden wollenden Bergwiese erreichen wir endlich die Passhöhe. Ich
schalte meine Stirnlampe aus und betrachte begeistert den Sternenhimmel.
Selten sah ich so einen schönen Himmel. Ich sehe unsere MiIchstraße und
ihre Sternenbilder und dazu noch viele anderen Galaxien
wunderschön in dieser kristallklaren Nacht. Fast 2000 Höhenmeter unter
uns dazu das Lichtermeer der Städte im Rheintal. Das sind so
Augenblicke, die sich in mein Gedächtnis einprägen und die Gefahr eines
gewissen Suchtpotentials für solche Ultratrails bergen.
Ich verabschiede und bedanke mich bei Lysande und
werden nun von sogar drei Männern der Bergwacht ins Tal geleitet. Sie
haben dabei sehr mit den schweren Markierungsstecken zu kämpfen, die sie
nebenbei mit einsammeln. Ich hebe mal zum Test einen dieser Stecken auf.
Der wiegt mindestens ein Kilo, wenn es ausreicht und jeder von ihnen
trägt jetzt schon an die 20 dieser sperrigen und unhandlichen Stecken
auf dem Rücken!
Der Weg zieht sich noch einmal in die Länge, aber
endlich erreiche auch ich als letzter Teilnehmer nach 18 Stunden und 53
Minuten Laufspaß das Ziel.
Im Ziel
Schnell noch ein Foto und dann kann das
Empfangskomitee endlich Feierabend machen. Leider bekomme ich nichts
mehr zu trinken, obwohl ich ausgedürstet bin und um ein Getränk bitte.
;-) Das ist halt das altbekannte Leid der letzten Läufer, dass es im
Ziel oft nichts mehr gibt!
Aber das Restaurant hat heute wegen der Veranstaltung noch extra offen
und da kauf ich mir dann für 5 Franken einen halben Liter Cola, bevor
ich mich mit Bernd, Sven und noch einem Läufer mit dem eingerichteten
Nachtshuttle gen Tal fahren lass. Ja, dieser Lauf war
für mich ein tolles Lauferlebnis, auch wenn es "nur" die Ausweichstrecke
war. 2013 will ich mich dann mal an die Originalstrecke wagen und die
Veranstalter dürfen sicher viele weitere Wiederholungstäter und viele
neue Läufer erwarten, weil so eine gelungene Laufveranstaltung spricht
sich in Läuferkreisen sicher herum!
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