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Der Tag 4
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Das Streckenprofil sieht gar nicht so aus. Die ersten 15
Km flach das Val de Travers entlang nach Noiraigue, dann eine ganz heftige
Steigung (aber da werden wir sowieso gehen) danach ein paar Kilometerchen
wellig auf der Höhe und dann der obligatorische Schlussabstieg. Das ganze
nur 42 Km lang. Sieht fast nach einem Ruhetag aus.
Aber natürlich kennen die Swiss Jura Macher ihren Lauf besser als wir und
wenn´s nicht schwierig ist, dann machen wir´s uns halt selber schwer. Die
15 Km im Tal sind wirklich flach. Also springen wir mal los. Während ich
am ersten Tag in Genf die ersten 10 Km vorsichtig im 5:40er – Schnitt
angegangen bin, brettern wir die 15 Km jetzt im 5:15 er-Schnitt runter.
Unser Selbstbewusstsein ist in den letzten Tagen wohl gestiegen – aber wie
immer: Hochmut kommt vor dem Fall. Auf diese Art waren die
„Einlaufkilometer“ eindeutig nicht erholsam. |
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Die folgende Steigung ist es auch nicht. Zwar gelingt es
mir, wie immer beim Gehen, den Puls zu beruhigen, aber die Steigung ist
unerhört lang und steil und die Muskeln, die ich im Tal noch nicht
gestresst hatte, gehen jetzt vor die Hunde. Das ist einigermaßen fatal,
denn oben folgt wieder ein typisches Jurastück. Wellig, wurzelig, steinig.
Kilometerlang im kurzen Wechsel auf und ab. Kaum Möglichkeiten zu gehen,
weil man in der Regel die Gegenanstiege noch ein Stück mit Schwung
hinaufläuft und dann eben mit letzter Kraft vollends durchdrückt. Man
findet eine Stunde lang überhaupt keinen Rhythmus, springt über Baumstämme
und wechselt zigmal die Richtung. |
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Gelegentlich bieten sich noch wunderbare Tiefblicke
hinunter ins Tal. Insgesamt ein traumhaftes Stück, wenn es nur nicht so
schwer wäre.
Zusammen mit den Anstrengungen der Vortage schafft mich dieses
Waschbrettstück völlig und als wir die V-stelle bei Km 23 erreichen, bin
ich fertig. Ich esse und trinke reichlich und lasse meine Mitläufer
notgedrungen ziehen. Es geht jetzt auf manierlichen Wegen mit laufbarer
Steigung bergauf, aber ich muss lange Gehpausen einlegen. |
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Dazu kommt dichter Nebel auf, die Wegsuche wird zum
Abenteuer und ich wanke meinem absoluten Tiefpunkt entgegen. Die
„Besteigung“ des Mont Racine schaffe ich im Zeitlupentempo und meinem
Zeitlupentempo habe ich es wahrscheinlich zu verdanken, dass ich oben
sorgfältig nach dem Weg suche und nicht wie viele Andere gleich wieder
talwärts strebe. Kaum bin ich die ersten Meter nach links auf dem Kamm
gegangen, taucht aus dem Nebel unter mir eine Gruppe auf (verlaufen !),
und die meisten meiner Mitstreiter aus dem Wurzelwald sind wieder bei mir.
Jetzt muss ich dran bleiben. In der Gruppe geht es viel einfacher durch
den Nebel. Gemeinsam helfen wir uns, rufen immer wieder, wenn wir ein
Markierungsband finden. Die Angst sich hier zu verlaufen setzt ungeahnte
Kräfte frei. Nach dem Kammstück geht es dann viel bergab, zunächst über
Wiesen, dann wieder steil und schwierig rutschig durch einen schmalen
Taleinschnitt. Der Nebel lässt nach, die Sonne kommt zum Vorschein. Das
Schlimmste scheint geschafft. In diesem Zusammenhang ein Wort zur
Streckenmarkierung. Prinzipiell hängt ca. alle 200 m und zusätzlich an
Gabelungen oder Kreuzungen ein Flatterband. Das Ganze wird von den
Markierungstrupps angebracht, die schon früh am Morgen aufbrechen und
nachmittags, nachdem alle Läufer durch sind, wieder eingesammelt. |
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Grundsätzlich kann man sich nicht verlaufen, wenn man
aufmerksam ist. Aber wahrscheinlich hat sich jeder irgendwann ein paar Mal
verlaufen, weil man nicht 323 Km lang aufmerksam sein kann. Mal starrt man
konzentriert auf den Weg, mal genießt man die Landschaft. Mal quasselt man
mit dem Nebenmann oder träumt einfach in den Tag hinein. Ich selbst habe
mich 4 oder 5 Mal verlaufen. Entweder habe ich kurz darauf in einiger
Entfernung die Bänder doch entdeckt oder meine Mitläufer haben mich zurück
gepfiffen. Die Solidarität unter den Läufern war auch hier großartig. Und
die Qualität der Markierung war es grundsätzlich auch. |
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Wir müssen nochmals einen lang gezogenen Anstieg hoch und
dann folgen ca. 5 Km fallend hinunter in die Uhrenstadt La Chaux de Fond.
Für Juraverhältnisse fast schon gemütlich. Im Vergleich zu den anderen
Etappen das friedlichste Ende, so dass ich mich wieder etwas erholen kann.
Dennoch: zwei Tage hintereinander war ich jetzt, was die Energie anging,
an oder über der Grenze. Die Muskulatur macht noch ganz ordentlich mit,
nur der linke Oberschenkel ist angeschlagen. Aber da ich mich vom ersten
Tag an mittags massieren lasse, werde ich jeden Tag so halbwegs wieder
hergestellt. Die 30 Minuten-Massage kostet täglich 10 Euro. Günstig für
das was das Massageteam mit unseren Muskeln anstellt. Weitergehende
Probleme (Entzündungen, Blasen), die andere Läufer quälen und um die sich
Thomas Miksch kümmert, der nicht nur jeden Tag gewinnt, sondern auch als
Laufarzt fungiert, sind bei mir bis jetzt ausgeblieben. Aber das
Energieproblem muss ich lösen. Also gehe ich von jetzt an zum
systematischen Fressen über: Zieleinlauf (so kurz vor 15 Uhr) – einige
Becher Rivella – ein Müsliriegel – zwei alkoholfreie Bier – zwei
Schinkenhörnchen – ein Beutel Pistazien und eine Handvoll Gummibärchen
hauchen von jetzt an jeden Tag ihr Leben aus – dann wird es um 18 Uhr Zeit
zum Abendessen (im Startgeld enthalten; durchaus schmackhaft und incl.
Suppe und Salat auch mengenmäßig i.O.) und als Nachtisch gibt´s dann die
restlichen Gummibären. |
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