Am Lavtinasattel
Dabei geht es extrem steil bergab. Ich muss ich auf jeden Schritt genau achten.
Leider bin ich auch beim Bergablaufen kein guter Techniker. So komme ich nur
langsam voran.
Hier geht es runter!
Als es dann endlich etwas
flacher wird, wird es zudem ungemein matschig. Die Kühe und der Nachtregen haben den Weg in einen
Schlammpfad versetzt. Weiche ich auf die Kuhweiden aus, muss ich dagegen auf die
unzähligen Schlammlöcher also Fußfallen achten, die das gehörnte Vieh mit seinen
Klauen gegraben hat. Als wäre das schon nicht genug, haben diese hinterlistigen
Feinde des Bergläufers auch noch allerlei Tretminen in Form ihrer rutschigen und
stinkigen Kuhfladen ausgelegt.
Judith und Thomas - Zwei Laufextreme
Hinter einer sumpfigen Alm überholt mich gehetzt wie ein
Fluchttier auf der Flucht vor einem Wolfsrudel grußlos und außer Atem eine
Marathonläuferin.
Wow, hat die ein Tempo drauf! Bei dem rutschigen Matsch würde
ich mir das nicht trauen! Warum hat sie es so eilig? Na ja, das muss halt immer
noch das vordere Marathonfeld sein!
Weit gefehlt! Denn kurz dahinter folgt eine weitere Läuferin mit
grünen T-Shirt. Oh je, das kann doch nicht sein! "Bist Du wirklich, Judith, die
Schlussläuferin des Marathons?" Grinsend nickt sie.
Judith meine nette Begleiterin auf den nächsten Kilometern, auch wenn wir
anfangs verschiedener Meinung sind
Ich überlege. Hinter
mir waren doch noch Didi, Elke und Kai. Im Marathonfeld starteten dann auch noch
eine halbe Stunde nach mir Lionheart der Läufer mit dem Hut, Susanne und
Bernadette. Das kann doch nicht sein! Wo sind denn die alle?
Judith sieht doch so hübsch und dazu noch blutjung aus. Man muss doch nicht vor ihr
flüchten oder gar wegen ihr den Marathon abbrechen! Ja, hätte mir OK- Präsident
Umberto eine alte Schreckschraube hinter her geschickt, vielleicht würde ich
jetzt auch die Flucht ergreifen, aber mit so einer Begleiterin muss man auf alle
Fälle doch erst einmal sein Tempo verlangsamen und in ein nettes Gespräch
kommen!
Hier sollte man etwas auf den Weg achten!
Das mit der Tempoverlangsamung kommt jedoch bei Judith erst einmal gar nicht gut
an. Denn hier treffen zwei Gegensätze aufeinander, wie sie gegensätzlicher nicht
sein könnten.
Hier die junge, schlanke, ranke, durchtrainierte, motivierte und
leistungsorientierte Berg- und Trailläuferin, dort der dicke, tempofaule und
genusssüchtige Flachlandläufer mit seinem gewaltigen Trainingsdefizit! Auch wenn
sich bekanntermaßen Gegensätze anziehen, ergeben sich unweigerlich erst einmal
Reibungspunkte.
Gleich drei Wasserfälle auf einmal!
Judith meint in etwa: "Wenn Du weiter so dahin schleichst,
musst Du aus dem Rennen aussteigen!" Ich denke mir, wo soll ich denn hier raus gehen.
Soll ich die fast 1000 Höhenmeter zum Lavtinasattel wieder hoch gehen und
dann auf die Halbmarathonstrecke abbiegen, das ist ja mindestens genauso
hirnrissig und anstrengend als den Marathon weiterzulaufen. Ich gehe daher in eine strikte
Verweigerungshaltung über. Das reizt natürlich den Kontrahenten um so
mehr. So werden Kriege geboren! Wir kommen so nicht weiter!
Kein Student aber eine Doktorandin aus Uppsala
Da hilft nur Ablenkung weiter. Ich muss gezielt vom Thema
abschweifen! Wie erreicht man
das? Natürlich durch ein Gespräch, also so eine Art Smalltalk. So erfahre ich,
Judith kommt zwar aus der Schweiz, aber momentan lebt sie in Schweden. Sie macht dort gerade
ihren Doktor der Biologie. Es gefällt ihr dort sehr gut.
Das ist ein guter Ansatzpunkt. Ich erzähle ihr, als ich noch Angestellter war,
spielte ich auch mit dem Gedanken nach Schweden
auszuwandern. Damals bekam ich ein Stellenangebot von Siemens Schweden. Da
ich zuvor schon so mehrmals in Schweden war und es mir dort auch jedes mal
gut gefiel, spielte ich wirklich ernsthaft mit diesem Gedanken. Dann überlegte
ich es mir damals aber anders. Ich schwärme dabei davon, was für eine schöne Stadt Stockholm ist
und Judith bestätigt dies. Sie selbst wohnt aber in
Uppsala.
Judith läuft natürlich auch bei Laufwettbewerben europaweit mit und dort gefallen ihr Trailläufe besonders.
Trotz der anfangs aufgeführten Gegensätze besitzen
wir also auch allerlei Gemeinsamkeiten, zumal auch ich früher mal etwas auf Leistung lief, wie
ich ihr erzähle.
Das Tal der Marathonis hinter Batöni. Hier laufen nur die Marathonläufer
durch!
Als ich dann auch noch auf einer rutschigen Wiese ausrutsche
und zwar weich, aber im totalen Matsch auf den Hintern lande, habe ich den Beweis
erbracht, wie kurzweilig ein Lauf mit mir sein kann, auch wenn wir dabei nur im
Schneckentempo vorankommen und ich als fanatischer Lauffotograf natürlich
mindestens jeden zweiten Grashalm am Wegesrand fotografieren möchte.
Enzian
Aber auch ich bin Judith sehr dankbar, speziell als wir im
Tal unterhalb von Batöni einen Bach mit einer kleinen Kletterpassage queren
müssen. Die Sturzfluten der Unwetter der letzten Zeit rissen dort den Weg
komplett weg. Da kann Judith meine Stecken halten, bis ich die Gefahrenstelle
passiert habe.
Hier hat der Bach den Weg wegspült. Von dieser Seite sieht es harmloser aus,
als es war!
Ja, dieses Tal unterhalb von Batöni habe ich noch vom letzten
Jahr in schlechter Erinnerung. Da musste ich mich so wegen der nächsten
Zielschlusszeit in Schwendi hetzen , einmal verlief ich mich dann sogar und der von
den Kühen aufgeweichte Boden tat sein übriges.
Die Zielschlusszeit in Schwendi
kümmert mich diesmal nicht mehr, weil ich so oder so von da aus in Richtung Ziel
laufen werde, zumal da noch viele Stunden nach mir die Ultraläufer die
gleiche Strecke laufen werden. Nur der Matsch, der ist dieses Jahr noch schlimmer.
An einer Stelle wird es besonders übel. Da quert im Wald ein handbreiter
Matschweg einen steilen Hang. Der tonige Untergrund ist dabei mindestens so rutschig wie Schmierseife.
Ein Ausrutschen wäre hier zwar nicht tödlich, aber ein gebrochenes Bein
oder ähnliches Unbill wäre sicher die Konsequenz. So atme ich auf,
als wir beide auch diese Gefahrenstelle heil überquert haben, zumal Judith nicht
einmal Stecken bei sich hat.
Üble Matschstelle, die so rutschig wie Schmierseife ist!
Kurz vor Weisstannen wird der Weg endlich besser und geht in
einen Fahrweg über. Erstmals kann ich etwas Gas geben. Ich frage Judith, was
denn mit
dem Läufer mit Hut geschehen ist. Ich wusste, dass er wegen einem Unfall vor
einiger Zeit ohnehin nicht weit laufen wollte. Aber Judith hat ihn mit
Bernadette und Susanne in Wildseeluggen auf die Kurzdistanz geschickt, weil sie
etwas zu langsam waren. Sicher hatten sie zuvor zuviel herumgeblödelt und sich
noch dieses und jenes angeguckt und so die dortige Zielschlusszeit ganz
vergessen!
Mein Spiegelbild in Weisstannen
Ich wollte Judith dann noch erzählen, was für ein Lauftalent sie da ausgesiebt
hat. Nämlich einen Läufer, der schon Marathons als Gesamtsieger gewann, den Swiss Alpine K78
früher deutlich unter 8 Stunden und flache
Marathons ohne großen Trainingsaufwand zuvor um die 2:40 lief. Aber
leider komme ich nicht mehr dazu. Die Bergwacht beruft sie kurz vor Weißtannen
von ihrer Aufgabe ab, da ich ab nun wieder mit auf der Strecke der 58 km - Läufer laufen
werde.
Das Tal
Hinter Weisstannen, wo ein Weg wieder den Berghang hoch
führt, holt mich einer von ihnen ein. Christian Zimmer ist so wie ich ein
ehemals für die 82 km Distanz gemeldeter Läufer.
Christian hinter Weisstannen
Er ist aber nun auf die 58 km
gegangen, einmal weil das Stück hinter Batöni ähnlich wie unser Tal der
Marathonis ungemein rutschig und matschig war und zudem sicher noch schwieriger. Dann musste er letzte Woche beruflich
harte Fitnesseinheiten einlegen, die ihn heute noch mitnehmen. Irgendwie
verständlich, dass er dann keine 82 km und gut 6000 Höhenmeter laufen will, auch
wenn er es vom Tempovermögen sicher geschafft hätte. Bei den 58 km
Läufern bewegt er sich ganz vorne und hat dennoch Zeit für ein kleines Schwätzchen mit mir. Er wird später nach gerade mal 9 Stunden immerhin Zweiter im
Gesamtklassement der 58 km - Läufer.
Auf dem Weg nach Schwendi
Bald verabschieden wir uns aber wieder voneinander. Er läuft
flott und ich dafür umso gemütlicher weiter.
Ich werde ab nun weder Stress machen, noch werde ich Stress in irgendeiner Form
an mich heranlassen. Ich gehe sozusagen in den gemütlichen Teil des Laufs über.
Dafür, dass es nicht zu gemütlich wird, wird übrigens die restliche Streckenführung
sorgen!
In Schwendi
Nach knapp 7 Stunden erreiche ich in Schwendi gut
20 Laufkilometer hinter dem ersten Verpflegungspunkt die zweite
Labestation. Wie gut, dass ich mir für unterwegs ein Pausenbrot mitnahm, das
ich irgendwo am Lavtinasattel verspeist habe. Es gab also lange Zeit keine
Verpflegung von außen. Dafür lässt das Essen und Trinken hier keinen Wunsch
übrig. Man kann sogar das leckere und teure Bündner Fleisch hier kosten. So
verbringe ich auch extra viel Zeit, zumal alle hier wie
schon im Vorjahr so nett zu mir sind.
Wald des Schreckens und Wiese des Schreckens
Schwendi liegt gerade mal 900 Meter über NN und ist somit der
tiefste Punkt der Gesamtstrecke. So geht es dann auch auf den nächsten 6,8 km
1370 Höhenmeter bergauf. Das sind gut 20% Steigung im Durchschnitt und das dazu
sehr ungleichmäßig verteilt, weil das Mittelstück dieses Streckenabschnitts
ziemlich flach hoch geht. Man kann es auf einen Nenner bringen: Die ersten 1,3
km sind mit etwa 450 Höhenmeter und dem Wald des Schreckens und der fast
senkrechten Wiese des Schreckens extrem steil.
Ab Unterprecht folgt dann ein etwa 3,5 km langer Fahrweg und danach relativ
flacher Wiesenweg, wo man weitere gut 300 Höhenmeter gewinnt. Dort kann man sich
für den dritten, wiederum teilweise sehr steilen Abschnitt mit 2 km und weiteren
600 Höhenmetern erholen. Stellenweise werden dabei Steigungen von locker 50 -
100 % (= 45
Grad Steigung) angekratzt.
Aussichtspunkt im Wald des Schreckens
Soviel zu den mathematischen Ausführungen über den Anstieg.
2012 erlebte ich den extrem steilen
und auch sehr matschigen Waldweg mit sehr gemischten Gefühlen, zumal wir ihn
beim Ultra damals zweimal liefen. Einmal runter und dann nach vielen Kilometern
und Höhenmetern inmitten einer eisigen Nacht wieder bergauf. Heute kann ich mir
dagegen Zeit lassen. So verliert das ganze einiges an Schrecken. Dennoch
macht mir der steile Waldweg zu schaffen, weil er stellenweise total verschlammt ist. Meine
Schuhe und Beine tragen mittlerweile schon eine dicke Schlammkruste, die immer
dicker wird. Ich sehe wie ein Schlammmonster aus. Was bin ich froh, dass ich heute keinen Ultra laufe, weil ich mir
so bestimmt wieder einige Blasen gelaufen hätte.
Mittlerweile ist es auch drückend warm geworden. Meine Trinkvorräte gehen so
erstmals schnell zur Neige. Aber ich weiß, am Bauernhof in Unterprecht gibt es einen Brunnen.
Dort kann ich dann meinen Durst in vollen Zügen stillen
und Wasser nachfassen.
Endlich endet der Wald. Bei der Wiese des Schreckens wird es sogar noch einmal
steiler. Man müsste sie fast auf alle Vieren hoch krabbeln. Aber ich habe
ja meine Stecken dabei, die mich ohnehin schon zum Vierbeiner mutieren ließen.
Ich begreife gar nicht, wie manche diese Strecke ohne Stecken laufen können. Aber
das sind wahrscheinlich zu 90 % einheimische "Bergziegen".
Auf der Wiese des Schreckens geht es direkt hoch!
2012 torkelte ich in
der Finsternis, kein Ende sehend, hier hoch. Heute kann ich wenigstens schon die
Kante erkennen, wo der Fahrweg entlang führt.
Ich bekreuzige mich, als ich auf diesem endlich stehe und genieße erst einmal den
schönen Ausblick. Dann muss ich mich noch vor der Alm durch Schlamm und allerlei
Hinterlassenschaften der Kühe durchkämpfen, bis ich endlich auf festem
Untergrund stehe.
Trinkwasser
Mit Freuden erblicke ich den heiß ersehnten Brunnen,
erfrische und trinke wie ein leckes Fass. Ich leere das alte, bereits lauwarme
Wasser aus und ersetze es durch frisches Quellnass. Ein Liter reicht dabei
völlig aus,
auch wenn ich wegen der Ausrüstungskontrolle heute morgen noch eine dritte Halbliterflasche
bei mir trage. Heute ist es nicht so
heiß, als dass man hier ständig einen Trinkvorrat von 1,5 Liter bräuchte.
Außerdem kommt schon
nach etwa drei Kilometern der nächste Brunnen, wie ich weiß, mal
von den vielen Bächen und Quellen abgesehen, die man fast auf der kompletten Sardonastrecke findet. Also am Sardonatrail muss trotz der geringen Dichte der
Verpflegungspunkte keiner verdursten. Da hatte ich mit Trinkwasser auf meinen
Orientierungsläufen schon ganz andere Probleme.
Erfrischendes Trinkwasser!
Beim
Oberfränkischen
Orientierungslauf 2013 konnte ich für knapp 12 Stunden bei teilweise großer
Hitze kein sauberes Trinkwasser nachfassen. Dann beim
Unterfränkischen
Orientierungslauf 2014 kamen wir von der Orbquelle mit großem Schild "Kein
Trinkwasser" bis nach Bad Brückenau für etwa 9 Stunden an kein sauberes
Trinkwasser. Aber verdurstet wären wir dabei auch nicht, weil wir halt dann
notfalls nach den Gewittergüssen zuvor, dann halt mit einem Strohhalm
genüsslich Wasser aus der nächsten Pfütze getrunken hätten. Schließlich ist
jedes Wasser trinkbar. Manches halt nur einmal. Etwas Bakterien stärken
ohnehin unser unterfordertes Immunsystem, das sich dann so wie meines mit
Allergien abreagiert.
Viele normale Trailläufer sind halt schon etwas
verweichlicht. Sie trauen sich nur Wasser trinken, das es an den Labestationen gibt.
Dann sind 1,5 Liter Wasser Pflichtausrüstung absolut verständlich. Eigentlich
müssten es dann sogar 2 oder 3 Liter sein!
Aber man kann ja hier genauso gut völlig unproblematisch das Wasser aus den
umliegenden Seen und auch den meisten Bächen trinken. Lediglich, wenn die Kühe
direkt dort hineingekackt haben, sollte man die Finger davon lassen. Aber so
was gibt ja dann dem Wasser eine spezielle Geschmacksrichtung!
Bergrind
Was den Urin von Kühen anbelangt, der ist bei gesunden Kühen ohnehin weitgehend
keimfrei. Die Masai und auch sudanesische Viehzüchter waschen sich sogar im
Rinderurin, wenn Wasser dort wie so oft Mangelware ist. Notfalls wird man
Rinderurin so wie den eigenen Urin sogar trinken können. Die Milch der
Kühe ist aber sicher schmackhafter.
Aber Eigenurin hat ja schon so manchen Wüstengänger vor dem Verdursten gerettet,
auch wenn er sicher wenig mundete. Ich sah so was mal neulich im Fernsehen, wo
es um Survival in der Wüste ging.
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