Gemütlicher Weg in die Höhe und Rockmusik
Von solchen Überlebensstrategien bin ich heute Gott Lob um
Galaxien entfernt, zumal ein leicht ansteigender Fahrweg mein Bergläuferleben
versüßt. Ansonsten bin ich ja kein Freund von Fahrwegen, aber nach einem Trail-
und Crossanteil von bislang schätzungsweise gut 90%, erfreue ich mich an so einen
gemütlichen Sonntagnachmittagsspazierweg.
Als ich gerade meinen Akku am Smartphone auswechsle, der
Livetracker
endomondo hat mal wieder zuviel Strom gezogen, fährt gerade ein Quad mit der
Bergwacht vorbei. Die Jungs im Quad fragen mich, ob bei mir alles ok ist. Ich
kann das bejahen. Das Handy funktioniert auch wieder. Wir
verabschieden uns für kurze Zeit, denn wir wollen uns ein Stück weiter oben
wieder treffen, wo sie einen zusätzlichen mobilen Verpflegungspunkt einrichten
wollen.
Dieser kündigt sich diesmal als erstes akustisch und nicht optisch an. Schon in
der Ferne höre ich so was wie Rockmusik. Oh, die ist ja ultra rockig, das kann
nur Musik von AC/DC sein!
AC/DC - Musik beim Sardona
Der Hardrocksound vom anderen Ende der Welt beschwingt mich.
Es kommt bei mir erstmals nach Jahren wieder so was wie Stadtmarathonstimmung auf. Mein letzter
Stadtmarathon, wann war das? Ach ja, das war der
Dämmermarathon in Mannheim 2010.
Ist das schon wieder lange her!
Wir albern noch etwas herum, bis ich dann diese lustige Truppe mit einem kurzen
und wilden Sprint verlasse.
Es wird wieder stiller. Bald habe ich wieder die ganze Natur für mich alleine. Ein Blick zurück
lässt mich eine wunderschöne Szenerie mit drei erhabenen Fichten erblicken.
Caspar David
Friedrich hätten sie
mit den umliegenden Bergen sicher zu einen romantischen Gemälde der Meisterklasse angeregt.
Bergromantik auf Leinwand
Jahreszahlen
Unter einer Felswand laufe ich nun der Sonne entgegen,
während direkt über mir weiter oben in den Bergen dunkle Wolken drohen. Das
Licht ist hier fantastisch. Ich versuche mich in ein aber Gegenlichtaufnahmen,
wovon mir aber die meisten nicht allzu sehr gelingen.
Unterhalb dieser Felswand geht es nun hoch und zurück ins Hochgebirge
Ich laufe der Abendsonne entgegen
Was zeigt mein Höhenmesser
an? Oh, ich bin schon wieder auf 1792 Meter Höhe. Also noch etwa 500 Höhenmeter
zum Pass an der Gamidaurspitze, bis es dann dahinter fast nur noch bergab gehen
wird.
Was kann man noch mit 1792 assoziieren? Eine Jahreszahl! Was war 1792?
Da war doch die Französische Revolution und im gleichen Jahr wurde die 1.
Republik in Frankreich ausgerufen! Im März gestattete die Nationalversammlung
den Einsatz der
Guillotine,
die in der Folgezeit noch viel zu tun bekam.
Mein Höhenmesser aktualisiert jede Minute die Höhenangabe. So sehe ich immer wie
viele Höhenmeter ich in der letzten Minute geschafft habe. Musste diese Zahl
anfangs während der großen Hatz nach Möglichkeit zweistellig sein, also am besten
zwischen 10 und 14 Höhenmeter liegen, begnüge ich mich mittlerweile mit so 7-8
Höhenmeter. Dabei sollte ich zum Ende hin noch unter 12 Stunden bleiben. 12
- X Stunden habe ich als wenig ehrgeiziges persönliches Endziel gesetzt.
Aber jetzt fasziniert mich nicht mehr die Anzahl der Höhenmeter, die ich in der
letzten Minute geschafft habe, sondern die Zahl als ganzes, weil ich sie aktuell
mit einem Ereignis der Weltgeschichte assoziieren möchte.
1799, uff was war da? Ach
ja, da putschte sich Napoleon an die Macht und bestimmte die nächsten Jahre das
Schicksal Europas, während sich für mein Schicksal bei diesem Lauf wohl kaum
jemand interessiert! Zuvor war er ja in Ägypten. Da marschierten sie auch ganz
schön fleißig herum. Dort war sicher eine Pflichtausrüstung von ausreichend
Wasservorräten mehr als angebracht und mit der Entdeckung des
Steins von Rosette konnten später die Hieroglyphen entschlüsselt werden. Ich
dagegen, kann heute so manche Mysterien nicht entschlüsseln. Wie können etwa andere hier
so schnell hoch laufen und ich nicht?
So eine Art Skarabäen im Abendlicht, während ich über Napoleons Abenteuer in
Ägypten in den Jahren 1798 - 1799 nach sinne
Es folgt 1806. Langsam schreite ich
mit den Jahren voran. Wann werde ich mein Geburtsjahr 1959 erreichen? Ich freue
mich schon drauf! Derweil die Gedanken an 1806. Napoleon schlug in diesem Jahr
in der
Schlacht bei Jena und Auerstedt die Preußen und zog schon wenige Tage später
auf hohem Ross durchs Brandenburger Tor. Ja, das durchquerte ich auch schon
mehrmals, nämlich beim Berlin Marathon, zuletzt
2004. Aber nicht auf einem Schimmel, sondern Schusters Rappen!
Es folgt 1813. Da ging mit der
Völkerschlacht
bei Leipzig auch schon Napoleons Glorie langsam aber sicher unter, während meine Glorie erst noch mit dem Zieleinlauf folgen wird. Nach
2012 als Letzter, 2013 als Vorletzter werde ich mir dieses Jahr sicher wieder
den letzten Platz erkämpfen. Langsam aber sicher werde ich ein Sammler letzter Plätze!
So folgt eine Zahl nach der anderen. Mein Geburtsjahr 1959 verfehle ich mit 1958
knapp. Aber immerhin wurde in diesem Jahr
Charles de Gaulle am 21.12.1958, also exakt ein Jahr vor meinem Geburtstag,
zum französischen Staatspräsidenten gewählt. Der Savant
Kim Peek und Vorbild für den
Film „Rain Man“
hätte dieses Datum sicher gewusst, ich musste es jetzt natürlich erst einmal
nachschlagen, soll heißen während des Laufs war mir dieses Datum nicht bekannt. So rätsle ich bis zur nächsten Jahreszahl auf meinem Höhenmesser
herum, was 1958 so alles los war. Schoss man da den piepsenden
Sputnik erstmals ins All?
Nein, das war schon 1957! Na ja, dann halt einen Nachfolger wie Sputnik 3 ...
Tanz nach meiner Pfeife
In 2014 m Höhe endet mein Spiel. Alles andere ist nun
Zukunftsmusik. Mich lenkt aber nun ein 58 km Läufer ab. Er rennt an mir vorbei.
Wahrscheinlich hält er mich mit meiner Ultrastartnummer für einen Konkurrenten,
bei dem nun die Flasche leer ist. Dass noch ein Marathonläufer auf der Strecke
ist, kommt ihn sicher nicht den Sinn! Aber nicht nur die Laufhasen können extrem
schnell sein, sondern auch die Laufschnecken können "extrem" sein,
nämlich entsprechend langsam!
Oh je, wo
will der denn jetzt hinlaufen? Wir müssen nun doch dort oben links den Bach
überqueren! Aber er läuft einfach gerade aus den Berg hoch! Wie gut, dass wir
als Pflichtausrüstung eine Pfeife dabei haben! Erstmals kann ich sie
sinnvoll einsetzen und pfeife diesen Irrgänger zurück. Hopp, zurück auf den rechten Pfad der
Tugend, der ausnahmsweise mal nach links führt!
Der Läufer, der nach meiner Pfeife tanzte
Handsignale und einige Rufe tun ihr
übriges. Brav rennt er wieder den Berg runter und in Richtung Bach. Hoffentlich
fliegt er mir da jetzt nicht auch noch rein!
Der Bach
Aber als auch ich den Bach
erreiche, entdecke ich Gott Lob keine Wasserleichen. Also muss mein übereiliger
Kamerad dieses Hindernis heil überwunden haben. Das bringt mich auf eine Idee.
Nur schade, dass mich keine direkten Konkurrenten mehr überholen, ansonsten hätte ich
sie mit Pfeife und Handzeichen in Richtung der nächsten Kuhfladen dirigieren können.
Nein, nur ein "Späßle gmacht"! So gemein bin ich auch wieder nicht! Ich
schicke doch meine Kameraden der Berge nicht ins nächst beste Minenfeld!
Der zusätzliche Verpflegungspunkt
Mittlerweile bin ich wieder in den und über den Wolken. Mal im
Bergnebel, dann öffnen sich wieder neue Blicke, so dass ich die Kamera zücken
muss, weil die Szenerie einfach einmalig ist. Vor einer Alm ist eine
richtige Sumpfwiese. Auf rutschigen Brettern balanciere ich über den Sumpf. 2012
war es hier bitterkalt und die Bretter bereits vereist, so dass ich auf der
eisigen Schlitterbahn beinahe ausrutschte. Heute ist es zwar mittlerweile auch
etwas kühler, aber vom Gefrierpunkt sind wir noch weit entfernt.
Bei der Alm entdecke ich zu meiner Freude einen außerordentlichen
Verpflegungspunkt, mit allerlei leckeren Sachen. Da muss ich mich doch gleich
mal durchkosten! So mutiert mein anfangs so stressiger Marathon endlich in einen
Genussmarathon, so wie ich das liebe! Diesen Verpflegungspunkt hat ein Läufer
eingerichtet, der so wie ich 2012 den mittlerweile schon legendären ersten
Sardona Ultratrail mitlief. Als erfahrener Läufer, weiß er natürlich was ein
Bergläufer so alles begehrt. So gibt es neben Cola endlich auch mal einen
Schluck Bier. Auf den Schnaps verzichte ich aber lieber, zumal ich nach dem Lauf
noch zum Campingplatz mit dem Auto fahren muss und mir die verbleibende Strecke
auch ohne Schlangenlinien noch lang genug ist.
Der zusätzliche Verpflegungspunkt
Ich bedanke mich herzlichst und verabschiede mich nur ungerne von so lieben
Menschen. Diese so hautnah erlebte Herzlichkeit begeistert mich jedesmal bei
diesem Lauf. All der Stress und all die Sorgen auf den ersten Kilometern heute
morgen sind so endgültig vergessen!
Der letzte Pass
Hinter der Almhütte verschwindet der Weg gänzlich. Aber bis
zur Passhöhe sind es nun nur noch etwa 200 Höhenmeter. Spätestens in einer
knappen halben Stunde sollte ich also oben auf der Passhöhe stehen.
Bergnebel zieht herein
Ein weiterer 58 km Läufer
Ich suche
mir dabei meinen Weg möglichst auf der Ideallinie. Dabei hilft mir neben den
Markierungen auch der GPS-Track auf meinem Garmingerät. Wer neben einem GPS-Track, wie
vorgeschrieben eine Karte mitführt und aufmerksam auf die Markierungen achtet,
sollte sich bei so einer Dreifachabsicherung nicht verlaufen können. Allerdings
sollte man bei bei Batöni und dem Tal dahinter beachten, dass dort ein
GPS-Funkloch besteht, also viele Geräte dort keine GPS-Daten anzeigen können.
Auch so was gibt es in den Alpen, speziell in tief eingeschnittenen Tälern!
Mystische Abendstimmung
Endlich erreiche ich den Pass. Dort steht ein kleines Iglozelt. In dieses hat
sich ein Bergwachtler geflüchtet.
Iglozelt am letzten Pass
Als er mich sieht, freut er sich über die
Abwechslung und kommt heraus. Wie schon letztes Jahr lass ich mich dort ablichten.
Am letzten Pass in knapp 2300 Meter Höhe
Elektrozäunen ausweichend dem Ziel entgegen
Bis zum Ziel sind es immer noch etliche Kilometer. Dazu geht
es noch einmal etwa 800 Höhenmeter bergab.
Der Baschalvasee nicht mehr ganz so wie am Anfang im Nebel
Fast alles im Nebel
Abenteuerlicher Weg im Bergnebel
Der erste Teil des Weges gestaltet
sich als holprig. Aber irgendwann erreiche ich eine Stelle, wo der Weg
ausgebessert wurde. Dort kann ich endlich noch einmal Tempo machen, damit ich noch gerade vor Einbruch der Dunkelheit ins Ziel
komme.
Endlich folgt ein Fahrweg. Auch da kann ich gut Gas geben. Schließlich biegt
aber der Weg wieder auf Kuhweiden ab. Auf diesen Pfaden muss ich wieder auf den
Weg sehr acht geben.
Wie schon letztes Jahr versperrt wieder einmal ein Elektrozaun, wohl extra für
mich, weil es letztes Jahr so lustig war, den Weg ohne einen Durchgang, wo man den Draht mal
kurz entfernen kann. Letztes Jahr versuchte ich da mit Rucksack durchzuschlüpfen
und blieb dann am Zaun hängen, während mein Hinterteil den Stromschlägen
ausgesetzt war. Diesmal bin ich schlauer, lege den Rucksack ab und schlüpfe
mit dem Rücken nach unten durch.
Der Elektrozaun!
So habe ich den gefährlichen Draht stets im
Blickfeld und überwinde dieses heimtückische Hindernis ohne Probleme. Leider
ist nun dieser Bericht auch um eine Anekdote ärmer.
Das Tal im Abendlicht
Das Ziel mit Timing
Endlich wieder auf dem Fahrweg, erblicke ich das Ziel. Beim
letzten Tageslicht überschreite ich jubilierend nach 11 Stunden und 36 Minuten
Laufspaß die Ziellinie. Ich lass mich noch einmal fotografieren und empfange
freudig das schöne Finishershirt. Nur eine Medaille gab es auch dieses Jahr
nicht. Aber all die schönen Lauferlebnisse sind einiges mehr wert als so eine
schnöde Medaille.
Im Ziel
Als ich im Zielzelt meine Cola schlürfe, öffnet der Himmel
plötzlich seine Schleusen. Es schüttet regelrecht. Das war Timing! Mein
tagelanger "Schönwetterhex" hat geholfen, aber nun hat wohl eine böse Wetterhexe
die Geduld verloren und dazwischengefunkt. Aber wenigstens hört der Schauer bald wieder auf, so dass
die Ultraläufer keine dauernd verregnete Laufnacht befürchten müssen.
Fazit
Wie schon in den Vorjahren war es wieder ein wunderschöner
Lauf in einer grandiosen Landschaft mit vielen lieben Menschen auf der Strecke!
Wer Massenrummel lieber meidet und dagegen Trails pur, in familiärer Umgebung
sucht, ist beim Sardonatrail super aufgehoben. Halbmarathon und Marathon können
auch langsamere Läufer schaffen, die Zielschlusszeiten für die beiden
Ultradistanzen sind dagegen sehr knapp bemessen, so dass selbst erfahrene
Trailläufer daran scheitern! Wenn der Veranstalter die Zielschlusszeit in
Wildseeluggen für die Marathonläufer deutlich großzügiger bemisst, steht auch
einem Trailmarathon für Genussläufer nichts im Wege!
Sehr vorbildlich ist außerdem die Möglichkeit auf die kürzeren Strecken
auszuweichen, wenn man sieht, dass man die Langdistanzen zeitlich nicht schafft.
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