Kurz vor dem Startschuss, den ich vertrödle
Der Start
Pünktlich um 8:30 fällt der Startschuss zum dritten
Sardonatrail. Wohl etwas zu pünktlich, da ich in meinem Rucksack gerade
meine Jacke verstauen will und so den Start verschlafen habe. Na ja, so bin ich
wenigstens gleich richtig eingeordnet, nämlich ganz hinten.
Ich bin zwar heute für die 82 km gemeldet, will aber
höchstens
die 58 km oder den Marathon laufen, weil die Zielschlusszeiten für die Langdistanz
für mich viel zu knapp sind. Wer für die 82 km gemeldet ist, kann nämlich später
je nach Fitness, Tempo und Laune auf 58 km, Marathon oder Halbmarathon downgraden. 58 km wären mein Wunschziel und den Marathon sehe ich als
Alternative an. Nur der Halbmarathon kommt für mich nicht in Frage. Nur für
einen Halbmarathon fahre ich nicht bis in die Schweiz!
Eine Hatz für die Katz?
Endlich finde ich den Anschluss an den sehbehinderten Didi und seinen Guide Kai.
Didi läuft ja meist in etwa mein Tempo. Allerdings hat er in letzter Zeit 12 kg
abgenommen und ist dadurch entsprechend schneller geworden, wie ich bald beim
ersten Anstieg zu meinem Leidwesen erfahren werde. Ja, abnehmen sollte ich auch
mal. Ein Dutzend Kilos wären dabei ideal, weil ich dann wieder in etwa mein
Idealgewicht hätte. Natürlich dann immer noch nicht vergleichbar mit all diesen
spindeldürren Bergtrail-Läufern um mich herum, aber wenigstens könnte ich dann auch
mal wieder Gas geben. So aber kann ich mich allenfalls auf Bergrennen mit
Hochgebirgsschnecken und Bergwanderern aus dem Flachland einlassen.
Didi führt seinen Guide Kai an
Alle Jahre nahm ich mir das irgendwann vor dem Sardona Tral vor,
verschob aber
dann lieber die Diät, weil die fränkische Küche halt so lecker, reichlich
und gehaltvoll ist. Dazu unsere unzähligen oberfränkischen Biersorten! Auf beides wollte ich dann lieber doch
nicht verzichten.
So bin ich hier wohl mal wieder nicht nur der langsamste sondern wahrscheinlich auch
der dickste Läufer.
Das mit der Langsamkeit ist mir eigentlich egal. Aber leider
gibt es bei Wildseeluggen eine Zwischenzielschlusszeit von 3 Stunden und 30
Minuten. Letztes Jahr kam ich dort in 3:25 an. Wenn ich 58 km laufen will, muss
ich zudem Batöni in 5:00 erreichen. Letztes Jahr brauchte ich dafür aber schon etwa 5:15.
Aber vielleicht bin ich ja dieses Jahr besser drauf? So richtig kann ich
aber daran nicht glauben.
Blick auf die Churfirsten
Auf alle Fälle muss ich ordentlich Gas geben. Die erste große Kehre müsste ich
dazu in etwa 30 Minuten schaffen. Als ich sie mit großer Anstrengung erst nach
35 Minuten erreiche, weiß ich wie sehr ich schon im Rückstand bin, denn
einmal verlorene Zeit holt man in den Bergen kaum mehr auf. Wenigstens
entschädigt aber die wunderschöne Aussicht in Richtung
Churfirsten, einer
Bergformation mit sieben markanten Bergspitzen.
Nach dem
langen und heftigen Regen der Nacht ist die Luft nun kristallklar. So kann man
wunderschön in die Ferne schauen. In Kombination mit den Wolken und dem
Morgenlicht ergeben sich immer wieder Traummotive für den laufenden Fotografen.
Was könnte ich heute alles für tolle Bilder schießen, wäre da nur nicht der
unerbittliche Zeitdruck. Zusätzlich werde ich ständig von den beiden
Ultraschlussläufern verfolgt, die mir ständig im Nacken sitzen. Sie unterhalten
sich lustig, während mir gar nicht zum Scherzen zumute ist. Woher nehmen die nur
diese Energie her? Ja, lieber Thomas, die beiden sind auch 10 - 20 kg leichter
und natürlich auch besser trainiert und sicher haben sie auch mehr
Berglaufbegabung als Du! Ich analysiere daher mal kurz meinen Trainingsstand.
Ausdauer ist bei mir auf alle Fälle vorhanden, wie mein
31 Stundenlauf von Zeil am Main zum
Kreuzberg jüngst bewies, aber mein aktuelles Tempovermögen ist leider mehr
als mangelhaft. Neben meinem schon angesprochenen Übergewicht, ist sicher auch
meine chronische Unlust an Trainingsläufen mit etwas mehr Tempo schuld. Was
ansonsten für mich kein Problem ist, kristallisiert sich momentan als solches.
Elke
Wenigstens hole ich nun Elke ein. Wir sind zusammen mit
meinem Auto hier in die Schweiz gefahren, um Benzinkosten zu sparen. Nach einer
längeren erzwungenen Laufpause hat sie wohl ihr Training zu sehr gesteigert und
hat nun seit etwa 2 Wochen Probleme mit ihrem rechten Bein. Dadurch hat sie ein
klares Handicap. Nur wohl deshalb kann ich sie überholen, die rote Laterne
abgeben und mich wenigstens etwas von den beiden Schlussläufern absetzen.
Mit Didi und Kai erreiche ich kurz dahinter nach einem langen
Anstieg die Spitze des etwa 2000 Meter hohen Garmils. Ein Gipfelkreuz krönt ihn.
Zu meiner Freude liegen wir nun wieder halbwegs in der Zeit, wie mein Zeitmesser
beweist. Ich rufe Didi zu: "Wir liegen wieder im Rennen!" Er meint dazu: "Machen wir doch
schon die ganze Zeit!"
So optimistisch möchte ich auch mal sein!
Auf dem Gipfel des Garmil
Der Ausblick hier oben ist einfach nur fantastisch. Dazu kreist ein großer
Schwarm von Alpendohlen über unseren Häuptern. Das erinnert mich an die
Filmszene der Gefährten aus dem Herr der Ringe, als sie in Richtung des Pass
des Caradhras marschieren: "Das sind Späher Sarumans! Sie kundschaften den
Weg im Süden aus! Wir müssen über den Pass des Caradhras gehen."
Die Vögel
Kurz hinter dem Garmil überwinde ich auch einen Pass.
Dann geht es erst einmal auf einem steilen Bergpfad bergab. Man
sollte hier nicht ausrutschen, weil man sonst ein steile Bergflanke herunterfällt und das
sicher mit fatalem Ausgang!
Bei dieser Gelegenheit überhole ich Didi und Kai, weil Didi mit seiner
Sehbehinderung hier nicht so schnell vorankommt wie ich. Aktuell bin ich somit
viertletzter Läufer im Feld. Hoffentlich schaffen wir alle die erste
Zielschlusszeit bzw. drücken sie ein oder besser zwei Augen zu, wenn wir dort
nicht rechtzeitig ankommen.
So sieht es leider auch aus, als ich den ersten Verpflegungspunkt in Gaffia
erreiche. Aktuell liege ich etwa 10 Minuten hinter meiner geplanten Zeit. Ich
muss also noch deutlich mehr Gas geben als zuvor, weiß aber nicht, ob ich das
konditionell schaffe bzw. mir das antun will!
Nebel beim Aufstieg zum Baschalvasee
Ich halte mich an der Labestation deswegen nicht lange auf,
sondern gehe gleich den nächsten langen Anstieg in Richtung des etwa 2200 m hoch
gelegenen Baschalvasees an.
Bald erreiche ich dabei die Wolkengrenze und dringe so in den
undurchdringlichen Bergnebel ein, welcher alles in eine gespenstische Szenerie
wandelt. Derweil überholen mich schon die ersten Marathonläufer in einem für
mich unverständlichen Höllentempo, obwohl es hier auf einem waghalsigen Bergpfad
extrem steil bergauf geht. Dabei springen sie über Berg und Stein und Schlamm
und Pfützen wie leichtfüßige Gazellen, während ich ihnen neidisch hinterher
blicke. Ich dagegen schnaufe wie ein Walross. Müsstet ihr auch meine
überflüssigen Pfunde hoch schleppen, dann wäre auch eure Leichtfüßigkeit dahin!
Die Seen
Endlich erblicke ich, allerdings nur ganz vage, den Baschalvasee.
Er versteckt sich wie
schon 2012 im Nebel.
Dahinter erklimme ich einen weiteren Pass. Dieser Pass, etwas
unterhalb der Gamidaurspitze, wird später noch einmal eine ersehnte Passhöhe
sein, wenn wir schon gegen Ende der Strecke vom 1400 m tiefer gelegenen Schwendi
aus hierhin wieder hoch laufen müssen. Die Frage ist nur, werde ich überhaupt so
weit kommen, denn das Damoklesschwert der Zwischenzielschlusszeit in Wildseeluggen schwebt immer
bedrohlicher über mir. Denn, wenn ich sie nicht einhalten
kann, werde ich wohl auf die von da aus eher unattraktive Halbmarathonstrecke
geschickt und kann mir dann diesen langen Anstieg ersparen!
Baschalvasee im Nebel
Ich verliere aber erst einmal nicht weitere Gedanken darüber, denn nun geht es auf
einer schiefen Ebene weiter bergauf. Weil es sehr nebelig ist, kann man hier
leider wenig erkennen. Letztes Jahr
hatten wir hier einen wunderschönen Ausblick. Aber es war dort auch bitterkalt.
Die Temperatur bewegte sich knapp über Null Grad und es lag zudem auch noch Schnee.
Schnee gibt es hier heute nicht, aber dafür viel Matsch und Pfützen. Letzte
Nacht regnete es ununterbrochen und dazu sehr stark. Wie werden da erst die Wege
an Kuhweiden hinter dem Lavtinasattel aussehen, wo es schon letztes Jahr sehr
matschig war? Der Matsch wird mich sicher noch zusätzlich aufhalten. Ich glaube
den 58 km - Lauf kann ich mir abschminken, aber den Marathon möchte ich auf alle
Fälle weiter laufen, ob mit oder ohne Wertung ist mir ab nun egal. Da die
Ultraläufer, ja im letzten Teil noch viel länger als ich auf der Strecke sein
werden, dürfte das ja auch kein Problem sein.
Pass im Nebel
In knapp 2500 Meter Höhe erreiche ich den nächsten Pass, den
aufgeschichtete Steine im Nebel markieren.
Zuerst geht es etwas Kehren bergab,
bis es einen anderen Hang wieder hoch geht, hinter dem versteckt der Schwarzsee
liegt. Dieser versteckt sich heute so im Nebel, dass ich kaum seine schwarze
Färbung erkennen kann. Wie schwarz das Wasser hier ist, sah ich aber
letztes Jahr. So halte ich mich hier nicht lange auf, zumal meine Zeit immer
knapper wird.
Schwarzsee im Nebel
Hinter dem Schwarzsee muss ich schon den nächsten Hang
erklimmen. Letztes Jahr war es hier sehr gefährlich, weil in der Felswand über
uns riesige Eiszapfen abbrachen und mit Getöse ins Tal und auch auf uns zu
donnerten. Heute bestehen solche Gefahren nicht und die Felswand versteckt sich
hinter einer Nebelwand. Sicher schämt sie sich heute noch über den Schrecken, den
sie uns damals einjagte.
Hinter diesem weiteren etwas über 2500 m hohen Pass geht es
erst einmal längere Zeit bergab. Hinter dem Pass lichtet sich der Nebel und gibt
den Blick in ein tiefes Tal frei. Hier sollte doch der Schottensee sein! Aber am
schiefen Hang kann es doch keinen See geben!
Noch kein Schottensee in Sicht!
Erst hinter einer weiteren Bergkuppe taucht der wunderschöne
See in tiefblauer Farbe auf. Nun sind mir
sämtliche Zielschlusszeiten egal. Diese schöne Bergszenerie muss ich einfach in
Ruhe fotografieren.
Der strahlend blaue Schottensee
Ich will es nun einfach so kommen lassen, wie es ist, zumal
ich den Marathon so oder so laufen werde. Ich reise doch keine fast 500 km an
und lasse mir dann wegen 5 Minuten Zielschlusszeitüberschreitung den Spaß hier
verderben. Wie zur Bestätigung holen mich nun die beiden Ultrazielschlussläufer
ein. Einer der beiden, Dominic fragt mich, was ich vor habe. Ich sage: "Ich will
den Marathon laufen!" Über soviel Vernunft erfreut, bestätigt er mir, dass ich in Wildseeluggen weiterlaufen darf, wenn ich die Zielschlusszeit nicht zu sehr
überschreite. Ich schaue auf die Uhr. Das sollte machbar sein. Ich rechne
aktuell mit einer Überschreitung von 5 Minuten.
Blick zurück auf den Schottensee beim Weg zum Wildsee hoch
In der Tat, 5 Minuten über der Zeit erreiche ich
Wildseeluggen. Da ich ja letztes Jahr noch 5 Minuten unter der Zeit lag, ist das
sozusagen die ausgleichende Gerechtigkeit, denn 3:25 + 3:35 = 7:00. 7:00 / 2 ergibt
3:30. Also alles perfekt!
Mit Dominic bei Wildseeluggen
Dominic sagt mir an der Passhöhe, dass nun Marathonschlussläuferin Judith für
mich zuständig ist. Da die Marathonläufer ja eine halbe Stunde nach uns
starteten, rechne ich nicht mit ihrer Bekanntschaft.
Der Wildsee
Das Dach des Laufs
Bis zum höchsten Punkt der ganzen Strecke, dem Lavtinasattel
in knapp 2600 Meter Höhe geht es über ein riesiges Geröllfeld. Seitdem ich mir
mein Schienbein in so einer Geröllhalde beim
Pitztaltrail 2013 an einer scharfen
Steinkante sehr schmerzhaft angestoßen habe, bin ich bei so was immer sehr vorsichtig.
So verlor ich 2013 hier schon viel Zeit und recht viel anders wird es wohl heute
auch nicht sein. Deswegen überholen mich nun weitere Marathonläufer. Leider kann ich nicht
ahnen, dass sie schon zum hinteren Marathonfeld gehören. Aber ich will mich nicht mehr hetzen und ziehe Vorsicht dem Tempo vor, zumal ich
auch rein technisch gesehen kein guter Bergläufer bin.
Über Fels und Geröll
Der Anstieg zum Lavtinasattel ist ohnehin das
landschaftlich reizvollste Stück der ganzen Strecke und das sicher die 82 km
Langdistanz mit eingeschlossen. Da die Sicht nun auch halbwegs frei ist, bin ich
natürlich mehr mit Fotografieren als Laufen beschäftigt.
Beim Aufstieg zum Lavtinasattel
Es folgt ein letzter steiler Anstieg und schon stehe ich auf dem
Dach der Gesamtstrecke, dem Lavtinasattel. Ich genieße erst einmal in Ruhe den
Ausblick, bevor ich mich gen Tal stürze.
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